Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegeunfall. innerer Zusammenhang. dritter Ort. angemessener Weg. betriebsdienliches Motiv. Urlaub mit Familie
Leitsatz (amtlich)
Der Unfallversicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 kann auf der Fahrt eines jugendlichen Versicherten von einer Ferienwohnung der Familie, einem sog dritten Ort, zur 140 km entfernten Arbeitsstätte bestehen, wenn der Aufenthalt am dritten Ort aufgrund der besonderen Situation des jugendlichen Versicherten auch als betriebsdienlich anzusehen ist. Hierbei sind das jugendliche Alter des Versicherten, der Beginn der Ausbildung, die Lebensumstände am Beschäftigungsort (Wohnheimzimmer), die besondere Situation an Feiertagen (Weihnachten und Neujahr) sowie die emotionale Stabilisierung des jugendlichen Versicherten durch die Familie von Bedeutung.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 14. September 1999 und der Bescheid des Beklagten vom 12. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1998 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Entschädigungsleistungen dem Grunde nach zu erbringen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bei einem Verkehrsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der ... 1976 geborene Kläger erlitt am 2. Januar 1997 gegen 10.20 Uhr auf der B 20 ca. 150 m vor der Ortschaft M/Landkreis R/Inn einen Verkehrsunfall, als er in einer leichten Rechtskurve aus ungeklärter Ursache in den Gegenverkehr geriet. Er zog sich bei dem Unfall u.a. ein Schädelhirntrauma III. Grades zu, im Anschluss entwickelte sich ein apallisches Syndrom und ein hirnorganisches Psychosyndrom. Er ist seitdem nicht vernehmungsfähig.
Der Kläger war seit 1. Oktober 1996 Krankenpflegeschüler des Krankenhauses R Inn. Die praktische Ausbildung sollte sich in 3 Krankenhäusern -- in E, P und S/Inn -- vollziehen. Die Krankenpflegeschule befand sich in E, wo der Kläger im Schülerwohnheim ein Zimmer hatte. Am Unfallmorgen befand er sich auf der direkten Fahrt zur Spätschicht -- Dienstbeginn war ca. 13.00 Uhr -- in der urologischen Abteilung des Krankenhauses P. Der Kläger hatte die Fahrt um ca. 8.40 Uhr von N/H B angetreten, wo er sich seit dem 28. Dezember 1996 mit seinen Eltern, seinen drei Geschwistern und deren 2 Ehepartnern in einer Ferienwohnung aufhielt.
In der urologischen Abteilung war der Kläger vom 2. Januar bis 6. Januar 1997 für den Spätdienst und vom 7. -- 9. Januar 1997 für den Frühdienst eingeteilt (Auskunft der R-Inn Kreiskrankenhäuser vom 13. Februar 1997).
Vom 21. Dezember 1996 an hatte der Kläger bereits Urlaub gehabt, den er ab dem 22. Dezember 1996 in der elterlichen Wohnung in H. M verbrachte, wo er über ein eigenes Zimmer verfügte. Seine dortige Meldung mit zweitem Wohnsitz ist aus Kostengründen (Einsparung von Abfallgebühren) unterblieben.
Der Kläger hatte bereits nach seinem Schulabbruch Anfang 1995 vom 1. April 1995 bis 30. April 1996 seinen Zivildienst in S/Inn abgeleistet, weil seine zwei Schwestern in Süddeutschland und Oberösterreich in der Nähe wohnten. Anschließend hielt er sich bis zum Beginn seiner Ausbildung überwiegend im Elternhaus auf. Sobald er während seiner Ausbildung einige Tage dienstfrei hatte, fuhr er etwa alle 4 Wochen einmal zu seinen Eltern (Aktenvermerk vom 29. Januar 1997). Im Übrigen hatte er drei Freundeskreise -- in H. M, E und S/Inn -- und war Trompeter in einer Dixieland Jazzgruppe im Landkreis R/Inn, weshalb er auch seine Ausbildung zum Krankenpfleger dort aufnahm (Angaben der Eltern vom 31. Januar 1997; Schriftsatz des Vaters vom 10. Februar 1997).
Mit Bescheid vom 12. August 1997 lehnte der Beklagte die Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Der innere ursächliche Zusammenhang des Weges mit der Ausbildungstätigkeit des Klägers sei hier zu verneinen, weil es sich um eine Rückfahrt vom gemeinsamen Urlaubsort der Familie und damit von einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gehandelt habe. Der Kläger habe seinen Weg weder von seinem Zimmer im Wohnheim noch von der elterlichen Wohnung angetreten. Bei dieser Sachlage sei nicht zu prüfen, ob es sich bei der elterlichen Wohnung überhaupt um eine Familienwohnung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) VII handele.
Im Widerspruchsverfahren berief sich der Kläger auf § 8 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 1 SGB VII. Die Familie habe bisher die Weihnachts- und Neujahrszeit stets in der elterlichen Wohnung verbracht, die Rückfahrt von hier zum Krankenhaus habe unter Versicherungsschutz gestanden. Nur weil er am 2. Januar 1997 seinen Dienst habe antreten müssen und auch weitere Familienmitglieder Termine in Süddeutschland bzw. Österreich gehabt hätten, habe man die Familienwohnung nach N "verlegt". Ihm dürfe kein Nachteil daraus entstehen, dass man die Famili...