Entscheidungsstichwort (Thema)
Merkzeichen Bl. Sehbehinderung. Gleichstellung mit einer Blinden
Orientierungssatz
Die Gleichstellung einer Sehbehinderten mit einem Blinden ist nicht gerechtfertigt, wenn nicht feststellbar ist, daß die Sehstörungen einen solchen Schweregrad erreicht haben, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe auf nicht mehr als 1/50 gleichzuachten sind.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" vorliegen.
Bei der 1953 geborenen Klägerin hat das Versorgungsamt (VA) H bereits mit Bescheid vom 5. Januar 1979 eine
angeborene Fehlbildung der Augen mit hochgradiger Sehschwäche
und einen dadurch bedingten Grad der Behinderung (GdB) - damals noch Minderung der Erwerbsfähigkeit - von 90 festgestellt. Mit Schreiben vom 9. Mai 1994 beantragte die Klägerin die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl". Nach Beiziehung eines Befundberichtes des Augenarztes Dr. B und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S stellte der Beklagte bei unveränderter Bezeichnung der Behinderung nunmehr einen GdB von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "RF" und "B", sowie jetzt erstmals "H" fest. Die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" lehnte der Beklagte jedoch ab, Bescheid des VA H vom 1. September 1994, Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 2. November 1994.
Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage zum SG Hannover erhoben und die Feststellung des begehrten Merkzeichens weiterverfolgt. Sie hat zwar eingeräumt, daß sie über eine Sehschärfe von mehr als 1/50 verfüge. Daneben seien aber weitere Faktoren der Sehstörung zu berücksichtigen. Sie leide unter einer starken Blendempfindlichkeit und einem starken Nystagmus. Faktisch könne sie dadurch genauso schlecht sehen, als wenn die Sehschärfe auf 1/50 oder weniger begrenzt wäre.
Nach Beiziehung eines Befundberichtes von dem Augenarzt Dr. V hat das SG die Klage mit Urteil vom 30. Januar 1996 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, daß die Sehschärfe der Klägerin nicht auf 1/50 oder weniger reduziert sei. Auch unter Berücksichtigung der Gesichtsfeldausfälle liege nach Maßgabe der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft keine Blindheit vor.
Gegen das ihr am 21. März 1996 zugestellte Urteil wendet sich die am 19. April 1996 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Sie verweist erneut darauf, daß die Sehschärfe unter den für sie optimalen, aber realitätsfernen Bedingungen abgedunkelter Praxisräume ermittelt worden sei. Wegen der bei hellerem Licht auftretenden Blendungen könne sie die theoretische Sehschärfe im Alltag nicht erreichen. Für die Beurteilung der Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" dürfe mithin nicht allein auf die Meßwerte für die Sehschärfe abgestellt werden. Die darüber hinaus vorliegenden Sehstörungen seien mit zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt,
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1. |
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 30. Januar 1996 aufzuheben und den Bescheid des Versorgungsamtes H vom 1. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 2. November 1994 abzuändern, |
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2. |
bei der Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" seit Mai 1994 festzustellen. |
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3. |
hilfsweise, die Revision zuzulassen. |
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil und die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat ein Gutachten auf augenfachärztlichem Gebiet von Dr. W eingeholt. In dem unter dem 12. November 1996 erstatteten Gutachten kommt der Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß die Klägerin nicht blind und auch nicht praktisch blind sei. Aufgrund der bei ihr vorliegenden Sehstörungen sei sie auch nicht einem praktisch Blinden gleichzustellen. Sie könne sich aber aufgrund der von ihr angegebenen Sehstörungen in fremder Umgebung nicht ohne fremde Hilfe zurechtfinden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 14. Januar 1997 hat der Sachverständige dies dahin präzisiert, daß die Klägerin nach der formal ermittelten Sehleistung in der Lage sein müsse, sich auch in unbekannter Umgebung zurechtzufinden. Die Klägerin habe wegen der von ihr angegebenen Blendempfindlichkeit genau dies jedoch verneint. Ein objektives Meßverfahren hierfür existiere nicht. Jedenfalls sei die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Blendempfindlichkeit besser gestellt als bei vollständigem Verlust des Augenlichtes. Sie sei auch besser gestellt als bei einer Minderung der Sehschärfe auf dem besseren Auge auf 1/50 oder schlechter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Schwerbehindertenakte des VA Hildesheim, Az: 86-0664, Bezug genommen. Die Akten waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der m...