Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme. Bandscheibenstuhl
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse für einen Bandscheibenstuhl bei inkompletter Querschnittslähmung eines Versicherten mit schlaffer Lähmung der unteren Extremitäten (Abgrenzung zu LSG Celle vom 24.5.1995 - L 4 KR 129/94 und vom 22.9.1998 - L 4 KR 125/98).
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung eines Bandscheibenstuhles.
Der 1941 geborene Kläger zog sich mit 20 Jahren unfallbedingt eine inkomplette Querschnittslähmung mit schlaffer Lähmung der unteren Extremitäten zu. Er kann sich selbständig nur mit Hilfe von zwei Unterarmgehstützen fortbewegen. 1987 zog er sich einen Bandscheibenvorfall L 4/L 5 zu.
Der Kläger beantragte am 29. Juli 1994 unter Vorlage des ärztlichen Attestes der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr E die Gewährung eines Bandscheibenstuhles "Ergonom Nr 307039-2" wegen "Bandscheibenprolaps" und "Querschnittslähmung mit Spastik". Seinem Antrag war das Kostenangebot der Firma reha team, Sanitätshaus D, vom 28. Juli 1994 beigefügt. Dort wurde der entsprechende Bandscheibenstuhl vom Typ "MEYRA 307039-2" mit einer Zentralfußfeststellbremse zum Gesamtbruttopreis von 2.898,-- DM angeboten.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für diesen Bandscheibenstuhl mit Bescheid vom 17. August 1994 ab, da es sich bei dem Stuhl um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, der keine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) begründe, auch wenn er wegen einer Erkrankung oder Behinderung angeschafft werde oder besonders gestaltet sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung seines Widerspruchs führte er aus, er müsse die weitaus größte Zeit des Tages in sitzender Position verbringen. Es sei daher für ihn unbedingt erforderlich, beim Sitzen die Wirbelsäule entsprechend zu entlasten und die durch die Lähmung geschwächte Muskulatur zu unterstützen, um einer weitergehenden Behinderung vorzubeugen und damit eine weitere Schwächung seiner Gesundheit zu verhindern. Seine Behinderung mache es notwendig, dass die entsprechend geformte Sitzfläche des Stuhles und die entsprechend geformte Rückenlehne fest fixiert seien. Eine Höhenverstellbarkeit der Sitzfläche erleichtere ihm das Aufstehen und Hinsetzen und trage so zur Entlastung bei. Alle diese Anforderungen erfülle der MEYRA-Bandscheibenstuhl. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Bescheid vom 5. April 1995 erneut mit der Begründung zurück, es handele sich bei dem Bandscheibenstuhl um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sitzgelegenheiten begründeten auch dann keine Leistungspflicht der GKV, wenn sie wegen einer Erkrankung oder Behinderung angeschafft werden würden und/oder besonders gestaltet seien.
Der Kläger hat am 5. Mai 1995 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben und zur Klagebegründung auf seine Widerspruchsbegründung vom 28. November 1994 verwiesen.
Das SG hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Juli 1997 persönlich angehört. Es hat der Klage mit Urteil vom 28. Juli 1997 im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für den beantragten MEYRA-Bandscheibenstuhl bis auf einen Eigenanteil von 250,-- DM zu übernehmen. Zur Begründung seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei dem Bandscheibenstuhl handele es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein Gesunder einen "MEYRA-Bandscheibenstuhl" kaufen würde. Die Benutzbarkeit des Bandscheibenstuhles als Stuhl führe lediglich dazu, dass der Kläger einen Eigenanteil von 250,-- DM zu tragen habe, einen Betrag, zu dem ein durchschnittlicher Stuhl durchaus zu erwerben sei.
Das SG hat in den weiteren Entscheidungsgründen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den antiallergenen Matratzen- und Kissenbezügen verwiesen, deren Grundsätze auch hier zu übertragen seien (Urteil vom 10. Mai 1995 - 1 RK 18/94 -). Dass eine Kostenteilung durchaus möglich sei, zeigten auch die Urteile des BSG vom 6. Februar 1997 (Az: 3 RK 1/96 und 3 RK 10/96). Die Ärztin des Klägers habe den Bandscheibenstuhl verschrieben wegen des Bandscheibenprolapses des Klägers verbunden mit einer Querschnittslähmung mit Spastik. Der Kläger bewege sich mühselig mit Unterarmgehstützen, wovon sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung habe überzeugen können. Die Verordnung eines MEYRA-Bandscheibenstuhles mit einer entsprechend geformten Sitzfläche und entsprechend geformter Rückenlehne mit fester Fixierung sei sachgemäß. Das Hilfsmittelverzeichnis stehe dem nicht entgegen, da es als unverbindliche Auslegungshilfe diene und derartige Geräte nicht erwähne. Der Stuhl diene der Bekämpfung der Krankheit und der Milderung ihrer Folgen.
Gegen das ihr am 2. September 1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. September 1997 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersa...