Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Anrechnung von Mutterschaftsgeld. rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung. Ermessensausübung
Orientierungssatz
1. Bereits vor der Geburt gezahltes Mutterschaftsgeld ist auf das Erziehungsgeld anzurechnen, das für den gleichen Zeitraum für ein anderes vorher geborenes Kind gezahlt wird (vgl LSG Celle vom 23.11.1993 - L 3 Eg 15/93).
2. In den Fällen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 hat der Leistungsträger stets zu prüfen, ob ein atypischer Fall vorliegt, der ihn veranlassen muß, bei der rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung Ermessen auszuüben. Dabei sind subjektive Zusammenhänge nicht stets außer acht zu lassen, sondern insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn der Leistungsempfänger die Leistung nicht nur gutgläubig angenommen, sondern auch in dem Glauben verbraucht hat, daß mit einer Rückforderung der Leistung nicht zu rechnen ist (vgl BSG vom 11.1.1989 - 10 RKg 12/87 = SozR 1300 § 48 Nr 53).
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung überzahlten Erziehungsgeldes (Eg) für den Zeitraum vom 23. März bis 29. Juni 1993.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18. Juni 1992 Eg für ihre am 24. Januar 1992 geborene Tochter L für den Zeitraum vom 24. Januar 1992 bis 23. Juli 1993. Das für die Zeit nach der Geburt von L bis zum 20. März 1992 gezahlte Mutterschaftsgeld rechnete er an.
Im Zusammenhang mit dem Antrag auf Eg für ihren am 4. Mai 1993 geborenen Sohn A legte die Klägerin im Juni 1993 dem Beklagten eine Bescheinigung ihrer Krankenkasse vor, wonach sie für die Zeit vom 23. März bis 29. Juni 1993 Mutterschaftsgeld im Zusammenhang mit der Geburt des Sohnes A bezog. Mit Bescheid vom 11. August 1993 hob der Beklagte daraufhin den Eg-Bewilligungsbescheid für die Tochter L teilweise rückwirkend wieder auf, weil das für A gezahlte Mutterschaftsgeld auf das für L gezahlte Eg anzurechnen sei. Für den Zeitraum vom 23. März bis 3. Mai 1993 entfalle der Eg-Anspruch in vollem Umfange, während vom 4. Mai bis 29. Juni 1993 kalendertäglich 5,00 DM in Abzug zu bringen seien. Das ergebe einen Überzahlungsbetrag von insgesamt 1.145,00 DM, der von dem Eg für A in drei Raten von 300,00 DM und in einer Rate von 245,00 DM einbehalten werde.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe gegenüber dem Beklagten alle erforderlichen Angaben gemacht und das bezogene Eg inzwischen auch im Haushalt verbraucht. Die Bezirksregierung W-E wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23. März 1994 zurück. Den weiteren Bescheid vom 11. August 1993, mit dem der Beklagte zuviel gezahltes Eg für die erstgeborene Tochter V der Klägerin wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld für L zurückforderte, hob er auf den Widerspruch der Klägerin wegen Ablaufs der Jahresfrist wieder auf.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die gegen die Rückforderung des Eg für Lisa erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes für A auf das Eg für L gesetzlich vorgesehen sei. Es handele sich um den Zufluß von Einkommen, der zu einer für die Bewilligung des Eg für L wesentlichen Änderung der Verhältnisse führe. Unter diesen Umständen sei auch die Anrechnung des Einkommens auf die Bewilligung des Eg vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse, dh hier vom Zeitpunkt des Bezuges des Einkommens an, zulässig. Auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Klägerin von der Anrechnung komme es nicht an. Ein atypischer Fall, der den Beklagten bei der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung zur Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens veranlassen müßte, liege nicht vor. Damit sei auch die Rückforderung des Überzahlungsbetrages gemäß § 50 Abs 1 SGB X rechtmäßig.
Mit ihrer am 27. September 1994 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, daß sich aus dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 1992 nicht ergebe, daß sich auch der Bezug von Mutterschaftsgeld für ein später geborenes Kind auf das laufende Eg für das früher geborene Kind mindernd auswirke. Bei den beiden erstgeborenen Kindern sei dies auch nicht der Fall gewesen. Sie habe das Eg deshalb im fraglichen Zeitraum gutgläubig empfangen und laufend verbraucht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. August 1994 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. August 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung W-E vom 23. März 1994 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, daß es bei der rückwirkenden Aufhebung von Leistungsbescheiden auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht ankomme, wenn der Zufluß anrechenbaren Einkommens zu berücksichtigen sei. Die in dem Bewilligungsbescheid enthaltene Belehrung sei allgemein formuliert und nicht allein auf das erstgeborene Kind bezogen.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört. Wegen der Einzelheiten ihrer Bekundungen wird a...