Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. vollstationäre Pflege. Pflegebedarf. Berücksichtigung ausschließlich verrichtungsbezogener Hilfestellungen. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Auch im Rahmen vollstationärer Pflege iS des § 43 Abs 1 SGB 11 erlauben die Regelungen des § 14 Abs 3 und 4 SGB 11 bei der Feststellung des Pflegebedarfs nur eine Berücksichtigung ausschließlich verrichtungsbezogener Hilfestellungen.

 

Orientierungssatz

Die Beschränkung des Hilfebedarfs nach § 14 Abs 4 SGB 11 erscheint vor dem Maßstab des Art 3 Abs 1 GG noch vertretbar, auch wenn nicht zu übersehen ist, daß für geistig bzw psychisch Kranke oder Behinderte die Gewährung von Hilfe in anderen als den in § 14 Abs 4 SGB 11 bezeichneten Bereichen von ebenso existentieller oder sogar noch größerer Bedeutung sein kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.02.2000; Aktenzeichen B 3 P 12/99 R)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen bei vollstationärer Pflege im Sinne des § 43 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch - SGB XI - Soziale Pflegeversicherung, vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1014).

Der im Jahre 1947 geborene Kläger beantragte im Dezember 1996 Leistungen der vollstationären Pflege. Die Beklagte veranlaßte daraufhin die Erstattung eines Gutachtens durch den medizinischen Dienst der Gesetzlichen Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN). In einem Gutachten vom 23. April 1997, erstattet von Dr. med. M und der Pflegefachkraft Frau B, wurde die pflegebegründende Diagnose "chronische paranoide Psychose" gestellt. Im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparats, der inneren Organe und der Sinnesorgane beständen keine Einschränkungen, dagegen lägen schwere Einschränkungen im Bereich der Psyche vor (introvertiert, nicht kontaktfreudig, antriebsarm, Vernachlässigungstendenzen, verlangsamt, Sprache stotternd). Zu den Aktivitäten des täglichen Lebens wurde ausgeführt, der Kläger könne sich teilweise nur unselbständig situativ anpassen (benötige personelle Anleitung) und für seine Sicherheit sorgen (Vernachlässigungstendenzen), sich selbständig bewegen, sich teilweise unselbständig sauberhalten und kleiden (benötige Anleitung bei der Körperpflege und zum Kleiderwechsel), selbständig essen und trinken sowie ausscheiden, sich teilweise unselbständig beschäftigen (habe Interessen, antriebsarm), selbständig kommunizieren sowie ruhen und schlafen, aber nur bedingt selbständig soziale Bereiche des Lebens sichern (soziale Kontaktfähigkeit eingeschränkt). Im Bereich der Grundpflege habe er bei der Körperpflege einen täglichen Hilfebedarf beim Waschen (einmal unter Anleitung) und Duschen (zweimal wöchentlich) sowie beim Kämmen/Rasieren (einmal unter Anleitung) mit einem Zeitaufwand von 20 Minuten, im Bereich der Ernährung habe er keinen Hilfebedarf, im Bereich der Mobilität habe er Hilfebedarf täglich einmal beim Aufstehen/Zu-Bett-Gehen und An-/Auskleiden mit einem Hilfebedarf von insgesamt 10 Minuten. Damit liege erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vor. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 24. April 1997 ab.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, daß das Gutachten des MDKN den Besonderheiten seiner psychischen Erkrankung nicht gerecht geworden sei. Beaufsichtigung und Anleitung von psychisch Kranken und geistig Behinderten müßten bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit gleichgewichtig mit der Unterstützung und Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens im Sinne des § 14 Abs 3 SGB XI bewertet werden. Zur weiteren Stützung seines Vorbringens legte der Kläger eine Aufstellung der Leistungen seiner psychischen Betreuung durch das C heim vor. Die Beklagte veranlaßte eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme des MDKN. In dieser Stellungnahme vom 6. Juni 1997 führte Dr. O aus, bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit sei nur der Hilfebedarf bei den gesetzlich abschließend definierten Grundpflegeverrichtungen und der Hauswirtschaft zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei bei mehreren Verrichtungen der Hygiene Anleitung und Aufsicht erforderlich, das gleiche gelte für die Verrichtungen des Aufstehens und des Ankleidens. Der Hilfebedarf betrage daher insgesamt 30 Minuten, wobei bei der Begutachtung den speziellen Behinderungen des Klägers Rechnung getragen worden sei. Auf der Grundlage dieser Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 1997 zurück.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und ausgeführt, das Gutachten des MDKN sei insofern fehlerhaft, als darin der Pflegeaufwand für die Grundpflege auf der Grundlage eines Zeitbedarfs ermittelt werde, den das ausgebildete Personal der Pflegeeinrichtung für die Erbringung der Leistungen benötige. Richtigerweise habe jedoch der Zeitaufwand mindestens verdreifacht werden müssen, da nur dies realistisch denjenigen Zeitaufwand wiedergebe, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die erfo...

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