Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Nachforderung. Unfallversicherungsbeitrag. Umdeutung. Beitragsänderung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein auf § 38 SGB 10 gestützter Bescheid, mit dem Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung nachgefordert werden, kann vom Gericht gemäß § 43 SGB 10 in einen Beitragsänderungsbescheid nach § 749 Nr 3 RVO umgedeutet werden.
2. Der Anwendung des § 749 Nr 3 RVO steht nicht entgegen, daß die Berufsgenossenschaft selbst die fehlerhafte Gewerbebezeichnung in dem Jahreslohnnachweis voreingetragen hat.
Orientierungssatz
§ 38 S 1 SGB 10 bezieht sich nur auf Unrichtigkeiten, bei denen der Wille der Behörde in dem Bescheid fehlerhaft zum Ausdruck gekommen ist, hingegen darf es sich nicht um einen Fehler in der Willensbildung handeln.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die nachträgliche Korrektur der von der Beklagten für die Kalenderjahre 1988 bis 1992 erlassenen Beitragsbescheide zu ihren Lasten.
Die Klägerin betreibt einen Zimmereibetrieb. Der Betriebssitz war zunächst in O., Straße. Mit Veranlagungsbescheid vom 25. Juni 1987 veranlagte die Beklagte das Personal der Klägerin - mit Ausnahme des Büroreinigungs- und des kaufmännischen und technischen Personals - zur Tarifstelle 1 "Zimmerarbeiten" und damit entsprechend dem Gefahrtarif der Beklagten zur Gefahrklasse 8,5. 1988 verlegte die Klägerin ihren Sitz nach E., B. 11. Mit Schreiben vom 30. September 1988 teilte die Beklagte der Klägerin aus diesem Anlaß eine neue Mitgliedsnummer zu, ein erneuter Veranlagungsbescheid wurde jedoch nicht erlassen.
Gleichwohl übersandte die Beklagte von da an - aus im einzelnen nicht näher nachvollziehbaren Gründen - der Klägerin für die Jahreslohnnachweise 1988 bis 1992 jeweils Vordrucke, in denen von seiten der Beklagten neben dem Namen der Klägerin insbesondere als Gewerbezweig jeweils "Bautenschutz und Isolierung" voreingetragen war. Der Gewerbezweig "Bautenschutz und Isolierung" wird nach dem Gefahrtarif der Beklagten der Tarifstelle 2 und der Gefahrklasse 5,0 zugeordnet.
Obwohl die Klägerin weiterhin - wie bereits zuvor in O. - ausschließlich im Zimmereigewerbe tätig war, nahm sie in den Jahreslohnnachweisen 1988 bis 1992 keine Korrektur des von der Beklagten voreingetragenen Gewerbezweiges "Bautenschutz und Isolierung" vor, sondern trug hinter diesem Eintrag jeweils die Zahl der Arbeitsstunden und die Summe der verdienten Brutto-Arbeitsentgelte ein. Auch in den Beitragsbescheiden der Beklagten für die Kalenderjahre 1988 bis 1992 ist die Klägerin jeweils den Gewerbezweig "Bautenschutz und Isolierung" zugeordnet worden. Dementsprechend ist der Beitrag für die von der Klägerin gemeldete Versicherungssumme (mit Ausnahme der Versicherungssummen im Bereich des kaufmännischen Personals und der Unternehmerversicherung) jeweils nach der Gefahrklasse 5,0 ermittelt worden.
Bei einer Betriebsprüfung im Mai 1993 fiel dem Rechnungsbeamten der Beklagten die unzutreffende Beitragserhebung auf. Nach vorheriger Anhörung der Klägerin berichtigte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Oktober 1993, dem ein Nachtrags-Bescheid vom 25. Mai 1993 beigefügt worden war, die vorausgegangenen Beitragsbescheide für die Kalenderjahre 1988 bis 1992 dahingehend, daß die Klägerin nicht mehr nach Tarifstelle 02 "Bautenschutz und Isolierung", sondern nach Tarifstelle 01 "Zimmerarbeiten" veranlagt wurde. Da für letztere nach dem Gefahrtarif der Beklagten nicht die Gefahrklasse 5,0, sondern 8,5 heranzuziehen war, ergab sich für die Jahre 1988 bis 1992 insgesamt eine Beitragsnachforderung in Höhe von 20.727,29 DM.
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 1995, der Klägerin zugestellt am 20. September 1995, zurück. Zur Begründung erläuterte sie insbesondere, daß die vorausgegangenen und nunmehr berichtigten Beitragsbescheide eine offenbare Unrichtigkeit iSd § 38 Sozialgesetzbuch Buch X Verwaltungsverfahren (SGB X) aufgewiesen hätten. Sie habe gegenüber der Klägerin mit Veranlagungsbescheid vom 25. Juni 1987 ihren Willen zum Ausdruck gebracht, sie nach der Gefahrklasse 8,5 zur Beitragszahlung heranzuziehen. Unter Zugrundelegung dieses Willens sei ein Irrtum in der Willensbildung bei Erlaß der nachfolgenden Beitragsbescheide für die Jahre 1988 bis 1992 festzustellen, in denen die Klägerin unzutreffenderweise jeweils der Gefahrklasse 5,0 zugeordnet worden sei. Diese Unrichtigkeit sei auch als eine offenbare zu werten. Der Klägerin sei zweifellos bekannt gewesen, daß sie einen Zimmereibetrieb und nicht einen im Bereich Bautenschutz und Isolierung tätigen Betrieb führe.
Mit der am 20. Oktober 1995 erhobenen Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, daß kein Fall der offenbaren Unrichtigkeit iSd § 38 SGB X gegeben sei. Die Vorgehensweise der Beklagten hätte aus ihrer Sicht auch dahingehend interpretiert werden können, daß sie ab 1988 abweichend von den Vorjahren in eine neue Gefahrtarifstelle eingestuft worden sei.
Mit Urteil vom 30. ...