Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines sorgeberechtigten Elternteils als Unionsbürger mit abgeleitetem materiellem Aufenthaltsrecht
Orientierungssatz
1. Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG i. V. m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist es unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG tatsächlich erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre.
2. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG findet aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 18 AEUV auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung. Hat das minderjährige Kind eines Unionsbürgers ein materielles Aufenthaltsrecht, so kann dessen Elternteil hieraus ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn er dem Kind gegenüber sein Sorgerecht ausübt.
3. Das minderjährige Kind eines Unionsbürgers ist nach §§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1a, 3 Nr. 2 FreizügG freizügigkeitsberechtigt, wenn dessen aufenthaltsberechtigter Elternteil als Unionsbürger ihm Unterhalt gewährt.
4. Trotz bestehender Arbeitslosigkeit kann sich der sorgeberechtigte Elternteil auf das Freizügigkeitsrecht wegen Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG u. a. dann berufen, wenn er eine von der Bundesagentur für Arbeit finanzierte Weiterbildungsmaßnahme durchführt und damit nach fachlicher Einschätzung die begründete Aussicht künftiger erneuter Beschäftigung besteht.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.06.2017 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) vorläufig ab dem 31.05.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30.09.2017, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 186,00 Euro monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 1) in beiden Rechtszügen.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Die Antragsteller sind polnische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 2) (geboren am 00.00.2008), 3) (geboren am 00.00.2008) und 4) (geboren am 00.00.2016) sind Kinder der am 00.00.1975 geborenen Antragstellerin zu 1). Die Antragsteller zu 2) und zu 3) besuchen die Grundschule.
Die Antragstellerin zu 1) reiste am 20.06.2014 gemeinsam mit den Antragstellern zu 2) und 3) sowie ihrem damaligen Lebensgefährten Herrn X (Herr W.) in die Bundesrepublik ein. Herr W. ist leiblicher Vater des Antragstellers zu 4), nicht der Antragssteller zu 2) und zu 3).
Die Antragstellerin zu 1) war in der Zeit vom 08.10.2014 bis 20.01.2015 bei der Q GmbH und in der Zeit vom 04.03.2015 bis 13.09.2015 bei der G GmbH & Co KG sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Herr W. war in der Zeit vom 02.05.2014 bis 15.11.2014 bei der L-Montage GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach einer betriebsbedingten Kündigung nahm er ab dem 16.11.2014 bis zum 02.03.2017 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei der Industriemontagen O GmbH auf. Zuletzt sah der Arbeitsvertrag eine 40-Stunden-Woche zu einem Stundenlohn von 10 Euro vor. Er beendete das Arbeitsverhältnis mit einem Aufhebungsvertrag, da seinem Wunsch auf eine der Arbeitsleistung angemessene Bezahlung seitens des Arbeitgebers nicht entsprochen wurde. Derzeit erhält Herr W. Arbeitslosengeld und für die Zeit vom 12.06. bis 04.12.2017 Leistungen für die Teilnahme an einer Weiterbildung seitens der Bundesagentur für Arbeit.
Die Antragsteller zu 1) bis zu 3) sowie Herr W. beantragten erstmals am 05.01.2015 Leistungen nach dem SGB II, die ihnen unter Anrechnung des jeweiligen Einkommens auch gewährt wurden. Nach der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses der Antragstellerin zu 1) bei der G GmbH & Co KG zum 13.09.2015 und der Trennung von Herrn W., der am 10.09.2015 aus der gemeinsamen Wohnung auszog, beantragte die Antragstellerin zu 1) Leistungen nach dem SGB II, die ihr teilweise gewährt wurden.
In der Zeit vom 23.04. bis 31.10.2016 war die Antragstellerin zu 1) bei der D GmbH in einem befristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah einen Stundenlohn von 8,50 Euro, maximal 450 Euro, vor. Wegen der Schwangerschaft hatte die Antragstellerin ab dem 09.05.2016 ein Beschäftigungsverbot. Am 14.11.2016 wurde der Antragsteller zu 4) geboren. Die Antragstellerin zu 1) bezieht monatlich Elterngeld i.H.v. 150,00 Euro und Kindergeld i.H.v. insgesamt 582,00 Euro. Für die Antragssteller zu 2) und zu 3) erhält die Antragstellerin zu 1) jeweils 105,00 Euro monatlich Unterhaltsvorschuss von der polnischen Unterhaltsvorschusskasse sowie für den Antragsteller zu 4) Unterhalt i.H.v. 100,00 Euro monatlich von Herrn W.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 16.03.2017 bewilligte der Antragsgegner mit Be...