Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger aufgrund eines auf Gemeinschaftsrecht beruhenden materiellen Aufenthaltsrechts
Orientierungssatz
1. Der hilfebedürftige Unionsbürger hat Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, wenn er über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügt, das von den Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 nicht erfasst wird.
2. Hierzu zählt ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV.
3. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG findet aufgrund des in Art. 18 Abs. 1 AEUV statuierten Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf minderjährige Unionsbürger, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verfügen, und ihre Eltern Anwendung.
4. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat ein die elterliche Sorge tatsächlich ausübender Elternteil, der mit dem anderen Elternteil, von dem sich das Aufenthaltsrecht des gemeinsamen Kindes nach Art. 7 Abs. 1d RL 2004/38 EG ableitet, nicht verheiratet ist, aus Art. 21 AEUV ein Aufenthaltsrecht (EuGH Urteil vom 30. Juli 2016, C-115/15).
5. In Ausübung dieses Aufenthaltsrechts kann sich sodann der die elterliche Sorge tatsächlich ausübende Elternteil auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.08.2018 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.09.2018 bis zum 31.10.2018 vorläufig Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs i.H.v. 91,82 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 28.07.2018 bis zum 31.08.2018 und ab dem 01.11.2018 abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt 1/4 der Kosten der Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren und 1/3 der Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T aus L beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung auferlegte Verpflichtung, der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Lebensgefährten ab dem 28.07.2018 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.01.2019 vorläufig zu zahlen.
Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben im März 2017 in die Bundesrepublik ein und ist seit dem 15.05.2017 unter der Anschrift L-straße 00, L, gemeldet. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten, Herrn O, zusammen, der ebenfalls bulgarischer Staatsangehöriger ist. Dieser war in der Zeit vom 15.11.2016 bis zum 21.11.2017 abhängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte Herrn O für die Zeit vom 29.11.2017 bis zum 21.11.2018 Arbeitslosengeld nach dem SGB III i.H.v. 28,03 Euro täglich bzw. - für einen vollen Kalendermonat - 840,90 Euro monatlich. Am 22.03.2018 erhielt Herr O eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld i.H.v. insgesamt 1.520,88 Euro. Herr O besitzt ein Kraftfahrzeug und entrichtet Beiträge zur Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung i.H.v. 205,00 Euro vierteljährlich.
Die Antragstellerin gebar am 24.12.2017 in L ihre Tochter E O; diese besitzt ebenfalls die bulgarische Staatsangehörigkeit. Über die Geburt existiert keine Geburtsurkunde. Herr O erkannte am 13.03.2018 die Vaterschaft betreffend das Kind E O gegenüber dem Jugendamt der Stadt L an. Die Antragstellerin stimmte am selben Tag gegenüber dem Jugendamt der Stadt L der Vaterschaftsanerkennung zu. Die Antragstellerin und Herr O erklärten am selben Tag gegenüber dem Jugendamt der Stadt L, die elterliche Sorge betreffend das Kind E O gemeinsam übernehmen zu wollen.
Am 24.05.2018 beantragte Herr O bei dem Antragsgegner die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für sich, die Antragstellerin und ihr gemeinsames Kind.
Mit Bescheid vom 16.07.2018, adressiert an Herrn O, bewilligte der Antragsgegner Herrn O und dem gemeinsamen Kind für die Zeit vom 01.05.2018 bis zum 31.10.2018 nach § 41a SGB II vorläufig Grundsicherungsleistungen i.H.v. 246,96 Euro monatlich. Bei der Ermittlung der Höhe des Leistungsanspruches ging der Antragsgegner von einem Gesamtbedarf i.H.v. 1.057,86 Euro aus. Dieser setzt sich aus einem Bedarf des Herrn O i.H.v. 599,27 Euro (347,00 Euro Regelbedarf + 8,60 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 216,67 Euro Bedarf für Unterkunft und Heizung (1/3 der Bruttokaltmiete)) und einem Bedarf des Kindes E i.H.v. 458,59 Euro (240,00 Euro Regelbedarf + 1,92 Euro Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II + 216,67 Euro Bedarf für Unterkunft und Heizung (1/3 der Bruttokaltmiete)) zusam...