Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertrauensschutz nach rechtswidrig zugesicherten Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über den Anspruch nach § 27 SGB 2 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. An eine gleichwohl ergangene wirksame Zusicherung von Leistungen des SGB 2 i. S. des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ist der Leistungsträger gebunden.

2. Nach § 34 Abs. 2 SGB 10 findet auf die Rücknahme der rechtswidrig erteilten Zusicherung § 45 SGB 10 entsprechende Anwendung. Hat der Auszubildende ersichtlich darauf vertraut, seinen Lebensunterhalt während des Studiums über Leistungen nach dem SGB 2 finanzieren zu können und hat er mit der Aufnahme eines Studienkredits eine Vermögensdisposition getroffen, die er nicht mehr rückgängig machen kann, so sind ihm Leistungen des SGB 2 ohne Anrechnung der Zahlungen aus dem Studienkredit zu gewähren.

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.06.2015 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II ohne Anrechnung der Zahlungen aus dem KfW-Studienkredit für die Zeit vom 01.06.2015 bis zur Beendigung des Studiums "Bachelor Ergotherapie" an der HSG C, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu zahlen.

Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin L, C, beigeordnet.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin für beide Rechtszüge zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin L beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die am 00.00.1977 geborene Klägerin ist gelernte Hotelkauffrau und war in diesem Beruf bis 2010 tätig. Aus gesundheitlichen Gründen ist ihr die weitere Ausübung dieses Berufs nicht mehr möglich. Mit Schreiben vom 02.08.2012 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass sie zum Wintersemester 2012/2013 ein Studium (Ergotherapeutin) an der Hochschule für Gesundheit, C, aufnehmen wolle. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG stehe ihr aufgrund ihres Alters nicht mehr zu, ihr entsprechender Antrag sei mit Bescheid vom 30.07.2012 vom Amt für Ausbildungsförderung abgelehnt worden. Anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten habe sie derzeit nicht. Deshalb bitte sie, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Darlehen zu bewilligen.

Mit Schreiben vom 15.08.2012 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit:

"Bezüglich ihrer Anfrage vom 02.08.2012 teile ich Ihnen mit, dass das Jobcenter C für die Zeit Ihrer Ausbildung weiterhin Leistungen nach dem SGB II als Beihilfe zahlt. Gibt es einen schriftlichen Bescheid über die Ablehnung des Bafögs? Reichen Sie bitte zu gegebener Zeit eine Schulbescheinigung ein."

Die Antragstellerin nahm das Studium im Wintersemester 2012/2013 auf. Die Regelstudienzeit beträgt sieben Semester. Die Antragstellerin erhält von der KfW einen Studienkredit in Höhe von z.Zt. 565,80 EUR monatlich. Diesen Kredit hatte sie am 14.05.2013 bei der KfW beantragt. Mit Schreiben vom 10.05.2013 hatte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin ausgeführt:

"Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ein Bildungs- bzw. Studienkredit nicht als Einkommen berücksichtigt wird."

Der Antragsgegner bewilligte der Klägerin und ihrer Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum 30.11.2014. Der Antragstellerin wurden zuletzt 674,53 EUR bewilligt (Bescheid vom 11.12.2014). Der Antragsgegner rechnete auf den Bedarf der Antragstellerin kein Einkommen an.

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 22.10.2014 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 02.12.2014 (nur) der Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. insgesamt zuletzt 345,63 EUR monatlich. Leistungen für die Antragstellerin lehnte der Antragsgegner gestützt auf § 7 Abs. 5 SGB II ab, da die Antragstellerin eine nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung absolviere.

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin am 08.12.2014 Widerspruch ein. Sie berief sich auf die Zusicherung vom 15.08.2012. Diese sei seinerzeit erteilt worden, weil das Studium angesichts ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Reha-Maßnahme angesehen worden sei.

Mit Bescheid vom 11.12.2014 bewilligte der Antragsgegner unter Änderung des Bescheides vom 02.12.2014 der Tochter der Antragstellerin einen Mehrbedarf für Alleinerziehende.

Mit Bescheid vom 19.12.2014 nahm der Antragsgegner die Zusicherung vom 15.08.2012 gestützt auf § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X ab 03.12.2014 zurück, da sie ohne rechtliche Grundlage erteilt worden sei. Hiergegen legte die Antragstellerin am 06.01.2015 Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.03.2015 zurückwies. Gegen diese Entscheidung erhob die Antragstellerin Klage (SG Dortmund, S 37 AS 1515/15).

Mit Be...

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