Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung nach rechtswidrigem Bezug von Arbeitslosengeld 2

 

Orientierungssatz

1. Die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz ist notwendig, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht. Dann ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig.

2. Ein Anspruch auf Krankenversicherungsschutz aufgrund freiwilliger Versicherung setzt u. a. eine wirksame fristgerechte Beitrittserklärung und eine ununterbrochene zwölfmonatige Versicherungszeit unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht voraus.

3. Die Vorversicherungszeit ist u. a. dann erfüllt, wenn der Betroffene unmittelbar vor seinem Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung mindestens 12 Monate Arbeitslosengeld 2 zu Recht bezogen hat. Dafür ist allein die formell-rechtliche Betrachtungsweise maßgeblich. Danach gelten Bezieher von Arbeitslosengeld 2 auch dann als versicherungspflichtig, wenn der entsprechende Bewilligungsbescheid rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert worden ist.

4. Die Regelung des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 5 verhindert, dass ein wegen fehlender Erwerbsfähigkeit rechtswidriger Bezug von Arbeitslosengeld 2 dazu führt, dass nach Ende des unrechtmäßigen Leistungsbezugs eine dauerhafte freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung begründet werden kann.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8. November 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt auch im Beschwerdeverfahren die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers und der Beigeladenen.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob dem Antragsteller (ASt.) ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung (KV) bei der Antragsgegnerin (Antragsgegnerin) zusteht.

Der am 00.00.1964 geborene ASt., von Beruf Diplom-Betriebswirt, hatte zuletzt nach längerer Arbeitslosigkeit Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezogen. Er beantragte am 15.10.2004 die Gewährung von Arbeitslosengeld II (ALG II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 01.01.2005. Bei der Antragstellung gab er an, seiner Einschätzung nach könne er mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen. Antragsgemäß bewilligte die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) L, Arbeitsgemeinschaft nach dem SGB II in der Stadt L, ab dem 01.01.2005 ALG II und zahlte Pflichtversicherungsbeiträge zur KV gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sowie zur Pflegeversicherung (PV) an die Antragsgegnerin, bezüglich derer der ASt. sein Wahlrecht ausgeübt hatte. Mit Schreiben vom 07.11.2005 meldete die Antragsgegnerin Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des ASt. an und bat die ARGE L um Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bezuges von ALG II. Aus der von dieser bei dem ASt. angeforderten ärztlichen Bescheinigung der Klinik L, Abteilung für Psychiatrie und Neurologie, vom 25.11.2005 ergab sich, dass der ASt. sei mehreren Jahren unter einer mehrfachen Abhängigkeitserkrankung leide. Dem liege eine rezidivierende depressive Störung zugrunde, die u. a. dauerhaft medikamentös behandelt werde. Seit drei Jahren befinde sich der ASt. im Substitutionsprogramm für Opiatabhängige in der hiesigen Suchtambulanz und erhalte täglich Polamidon. Infolge seiner Erkrankungen, insbesondere durch langjährigen Drogenkonsum, befinde sich der ASt. in einem schlechten körperlichen Allgemeinzustand mit deutlich herabgesetzter Leistungsfähigkeit. Am 16.11.2005 sei er in stationäre Behandlung zur Alkoholentgiftung und zur genaueren Diagnostik bzgl. der Suchtfolgeerkrankungen aufgenommen worden. Bis auf weiteres bestehe Arbeitsunfähigkeit.

Mit Schreiben vom 05.12.2005 teilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen (Sozialamt) daraufhin mit, dass die Anmeldung des ASt. zur Pflichtversicherung in der KV und PV ab dem 01.01.2005 nicht berücksichtigt werden könne. Bei dem ASt. habe offensichtlich zu keinem Zeitpunkt Erwerbsfähigkeit vorgelegen. Die Anmeldung sei zu Unrecht erfolgt und müsse storniert werden; gegebenenfalls kämen für den ASt. Leistungen nach § 264 SGB V im Rahmen der Sozialhilfe in Betracht (Übernahme der Krankenbehandlung durch die Beklagte gegen Kostenerstattung).

Der von der Beigeladenen eingeschaltete Fachbereich "Gesundheit" unterrichtete diese unter dem 22.12.2005, ausgehend von der fachärztlichen Stellungnahme vom 25.11.2005 bestehe aus amtsärztlicher Sicht bei dem ASt. derzeit weder Arbeits- noch Erwerbsfähigkeit. Eine Nachuntersuchung solle in acht Monaten erfolgen. Die ARGE L hob daraufhin mit Bescheid vom 09.01.2006 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II mit Ablauf des Monats Januar 2006 auf; denn der ASt. sei aus amtsärztlicher Sicht für länger als sechs Monate nicht erwerbs...

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