Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgenabwägung bei Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz verlangt u. a. die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Eilbedürftig ist die Angelegenheit für den Antragsteller dann, wenn er über kein ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügt.
2. Drohen dem Antragsteller ohne die beantragten Leistungen Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann, so fällt die für die begehrte Regelung im Eilverfahren entscheidende Folgenabwägung in der Regel zugunsten des Antragstellers aus. Dem Grundsicherungsträger drohen nur finanzielle Nachteile, wenn der Antragsteller im Hauptverfahren nicht durchdringen sollte. Zudem stehen dem Leistungsträger Aufrechnungsmöglichkeiten zur Verfügung, wenn der Antragsteller weiter im Leistungsbezug bleibt. Dagegen hat der Antragsteller existenzielle Nachteile zu befürchten.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.03.2011 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab dem 02.08.2011 bis zur Bestandskraft des angefochtenen Bescheides vom 10.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2011, längstens jedoch bis zum 31.01.2012 (einschließlich) einen Regelbedarf in gesetzlicher Höhe von 364,00 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1959 geborene Antragsteller bezog in den Jahren 2005 bis 2007 und wieder vom 01.07. bis 31.12.2010 Grundsicherungsleistungen vom Antragsgegner. Am 22.11.2010 stellte er einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab dem 01.01.2011. Der Antragsgegner forderte ihn zur Vorlage weiterer Unterlagen auf. Insbesondere seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Frau D A, mit der der Antragsteller eine Wohnung teilt, anzugeben, da Indizien für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorlägen. Dieser Annahme widersprach der Antragsteller unter Vorlage von Schreiben der Frau A sowie deren Tochter B.
Mit Bescheid vom 10.01.2011 versagte der Antragsgegner Leistungen für die Zeit ab dem 01.01.2011 auf der Grundlage der §§ 60, 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Der Antragsteller sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2011 zurück.
Am 09.02.2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm im Wege des Eilrechtsschutzes Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Ebenfalls hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt. Er lebe nicht in eheähnlicher Lebensgemeinschaft mit Frau A. Vielmehr teilten sie sich die Wohnung lediglich aus Kostengründen; "tiefere Interessen" hätten sie aneinander nicht. Frau A, die einer Erwerbstätigkeit nachgehe, bezahle die vollständigen Unterkunftskosten und er gebe ihr seinen Mietanteil in bar. Seit ihrer Scheidung 2009 lebe Frau A im Übrigen in einer neuen Beziehung. Sie nächtige im Schlafzimmer, er selbst aus Platzgründen im Wohnzimmer auf einer Schlafcouch. Tagsüber nutze er zusätzlich ein weiteres Zimmer, welches mit Schreibtisch und Vitrinenschrank ausgestattet sei. Sein Bett habe sich zunächst aus Platzmangel im Keller befunden, sei aber inzwischen in dem weiteren Zimmer aufgestellt worden. Es werde getrennt gewirtschaftet, insbesondere habe jeder seine eigenen Lebensmittel. Keiner habe Verfügungsgewalt über das Konto des Anderen. Das SG hat die Anträge mit Beschluss vom 22.03.2011 abgelehnt. Dem Eilantrag fehle es am Anordnungsgrund. Im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II könne ein Anordnungsgrund nur angenommen werden, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung konkret die Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage drohe. Dies sei hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit der Antragsteller die Gewährung der Regelleistung vor dem 09.02.2011 (Datum der Antragstellung bei Gericht) begehre, stehe dem entgegen, dass eine einstweilige Anordnung zur Regelung von Leistungsansprüchen für die Vergangenheit regelmäßig nicht in Betracht komme. Dem Antragsteller sei insofern zumutbar, das Verwaltungs- und Klageverfahren abzuwarten. Für die Zeit ab dem 09.02.2011 sei ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft, weil dem Antragsteller Mittel zur Verfügung stünden, die zum Bestreiten des Lebensunterhalts ausreichend seien. Der Antragsteller habe am 15.02.2011 Lohn in Höhe von 547,34 Euro erhalten. Dass er davon - wie vorgetragen - seinen Mietanteil entrichtet habe, sei von ihm...