Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. abweichende Regelsatzfestsetzung. Mehrbedarf aufgrund der Corona-Pandemie. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. koschere Ernährung aufgrund jüdischen Glaubens
Orientierungssatz
1. § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 dient dazu, individuelle Mehrbedarfe zu decken, die sich zB aufgrund einer Erkrankung oder sonstiger spezieller Umstände ergeben. Die Deckung eines coronabedingten Mehrbedarfs auf der Grundlage dieser Vorschrift scheidet aus, denn die Auswirkungen der Pandemie betreffen die gesamte Gesellschaft und nicht nur Einzelne.
3. Voraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs 5 SGB 12 ist, dass aus physiologischen Gründen ein objektiver Bedarf an einer besonderen Ernährung besteht, die auf einer spezifischen Ernährungsempfehlung beruht (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 8/15 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 25 RdNr 15).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 16.12.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige, insbesondere fristgemäß am 12.01.2021 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 16.12.2020, mit dem es den im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) sinngemäß gestellten und im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Antrag,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig höhere Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung eines coronabedingten und eines religionsbedingten Mehrbedarfs zu bewilligen,
abgelehnt hat, ist unbegründet.
1. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, weil der Antragsteller auch im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keinen Anordnungsanspruch gegen die Antragsgegnerin - also den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird - glaubhaft gemacht hat (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO).
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.
Die Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann entweder auf eine Folgenabwägung oder eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfGE 126, 1 ≪27 f.≫). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪75≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12, Rn. 3; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13, Rn. 20; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18, Rn. 4). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19, Rn. 15).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung besteht kein Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und...