Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht bei gestelltem Neufeststellungsantrag
Orientierungssatz
1. Im Schwerbehindertenrecht sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB 9 allein Teilhabebeeinträchtigungen und nicht Erkrankungen maßgeblich.
2. Einzel-GdB-Werte können nicht eigens festgestellt werden und können auch nicht in Bestandskraft erwachsen (BSG Urteil vom 24. 4. 2008, B 9/9a SB 6/06 R).
3. Bei einem gestellten Neufeststellungsantrag ist maßgeblich ein Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt der früheren Feststellung mit denen zum Zeitpunkt der Entscheidung. Eine wesentliche Änderung i. S. von § 48 SGB 10 kann dabei auch dann berücksichtigt werden, wenn der damalige GdB zu hoch angesetzt war.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.01.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50.
Bei dem am 00.00.1935 geborenen Kläger wurde vom damals zuständigen Versorgungsamt E mit Bescheid vom 08.03.1977 ein GdB von 30 (Verlust der Gallenblase mit Oberbauchsyndrom und hypertone Kreislaufregulationsstörung, Einzel-GdB jeweils 20), mit Bescheid vom 17.10.1977 ein GdB von 40 (zusätzlich Fettstoffwechselstörung und operativ behandelter Oberarmbruch rechts, Einzel-GdB jeweils 10) und mit Bescheid vom 25.01.1978 ein GdB von 50 festgestellt (zusätzlich vegetativ neurotische Pharyngopathie und Myopie bds. mit geringem Stigmatismus rechts, Netzhautablösung rechts, mit Brillenkorrektur normales Sehvermögen, Einzel-GdB jeweils 10).
Am 16.01.2015 stellte der Kläger bei der mittlerweile zuständigen Beklagten einen Verschlimmerungsantrag unter Verweis auf diverse Erkrankungen, insbesondere eine Stuhlinkontinenz bzw. Afterschließmuskelschwäche. Die Beklagte holte einen Befundbericht des Internisten Dr. X und eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. E1 ein. Diese hielt den zuvor angenommenen GdB für zu hoch. Eine Besserung sei nicht erkennbar. Es lägen weitere Leiden vor, die mit Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Der Gesamt-GdB sei bei 50 zu belassen. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 12.03.2015 ab. Der Kläger legte am 30.03.2015 Widerspruch ein. Seine Erkrankungen im Bereich des Herzens, der Nieren, der Wirbelsäule und der Verdauung seien mit Einzel-GdB von bis zu 30 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage 100. Die Beklagte holte einen Befundbericht des Facharztes für Urologie Dr. T ein. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme führte Dr. C aus, es sei eine persönliche Untersuchung des Klägers erforderlich. Nachdem der Kläger diese ablehnte, leitete die Beklagte den Vorgang an die Bezirksregierung N weiter, die den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 zurückwies.
Der Kläger hat am 15.07.2015 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben und sein Vorbringen unter Vorlage ärztlicher Unterlagen wiederholt und vertieft. Er hat mehrfach eine Verzögerung des Verfahrens gerügt und zur GdB-Bildung ausgeführt, die früheren Feststellungen seien in Bestandskraft erwachsen. Der bereits festgestellte GdB sei aufgrund der Einzel-GdB für die neu hinzugetretenen Erkrankungen auf 100 zu erhöhen.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen Befundberichte des Arztes für Orthopädie I, des Facharztes für Innere Medizin Dr. X sowie des Urologen Dr. T und Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter Untersuchung des Arztes für Chirurgie und Viszeralchirurgie, Proktologie, Koloproktologie Dr. P, der Ärztin für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. M sowie der Ärztin für Orthopädie Dr. H einschließlich ergänzender Stellungnahmen eingeholt.
Dr. P hat ausgeführt, es liege kein relevantes Hämorrhoidalleiden vor, wohl aber eine deutliche Funktionsstörung des Schließmuskels mit regelmäßigem unkontrolliertem Abgang. Diese bedinge einen Einzel-GdB von 30, wobei bislang keine adäquate Behandlung erfolgt sei. Dr. M hat für das Herz-Kreislauf-System einen mittleren Einzel-GdB von 20, für den Verlust der Gallenblase / Oberbauchsyndrom einen schwachen Einzel-GdB von 20 und für die Fettstoffwechselstörung einen Einzel-GdB von 10 angesetzt. Der Diabetes bedinge keinen GdB von 10. Relevante Beeinträchtigungen der Niere und des Funktionssystems Atmung lägen nicht vor. Bestehende Schwindelbeschwerden seien durch die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems bzw. der Halswirbelsäule zu erklären, wobei eine Gangunsicherheit nicht festzustellen gewesen sei. Mangels Beschwerden im Bauchraum erhöhe der schwache Einzel-GdB von 20 nicht den Gesamt-GdB. Dr. H hat bei leichtgradigen Beeinträchtigungen der Hals- und Lendenwirbelsäule den Rumpf mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet, ein Schulterengpasssyndrom mit einem Einzel-GdB von 10 und ein Streck- sowie Beugedefizit beider Kniegelenke ohne anhaltende Reizerscheinungen mit einem Einze...