Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Neufeststellung. wesentliche Änderung der Verhältnisse. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Gesamt-GdB. Funktionssysteme Harnorgane, Arme und Beine. Nierenschaden. Einnierigkeit ohne funktionelle Einschränkungen. sozialgerichtliches Verfahren. Grenzen der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht. gerichtlich angeordnete ärztliche Untersuchung -Nichtmitwirken an der Begutachtung. Mitwirkungspflicht. Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes

 

Orientierungssatz

1. Eine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren GdB begründen (vgl Teil A Nr 7 Buchst a S 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VMG - und BSG vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R).

2. Zur einzelfallbezogenen Bildung des Gesamt-GdB bei mehreren Erkrankungen im Bereich der Funktionssysteme Harnorgane (hier insbesondere im Hinblick auf eine Einnierigkeit nach Teil B Nr 12.1.1 VMG ohne funktionelle Einschränkungen), Arme (Teil B Nr 18.13 VMG) und Beine (Teil B Nr 18.14 VMG).

3. Erscheint der Kläger zu einer vom Gericht angeordneten möglichen und zumutbaren Untersuchung zur Erstellung eines ärztlichen Gutachtens nach § 106 SGG nicht, so wird hierdurch die gerichtliche Sachaufklärung beschränkt. Die Mitwirkung an einer Begutachtung aufgrund einer ambulanten Untersuchung gehört zu den prozessualen Mitwirkungspflichten im Sozialgerichtsprozess.

4. Bei Nichtmitwirkung an einer Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung nach § 106 SGG ohne wichtigen Grund ist die Einholung eines entsprechenden Gutachtens nach § 109 SGG nicht zuzulassen.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.05.2019 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist seit 1989 geschieden und Mutter einer Tochter, der sie 1999 eine Niere spendete. Das Versorgungsamt C stellte deswegen bei ihr 2002 einen GdB von 30 fest. Verschlimmerungsanträge in 2005 und 2007 blieben ohne Erfolg. Auf einen Verschlimmerungsantrag aus 2012 und ein erfolgloses Verwaltungs- und Vorverfahren einigten sich die Beteiligten in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren (S 5 SB 1064/12) nach Einholung von Befundberichten auf die Feststellung eines GdB von 40, den der Beklagte entsprechend mit Bescheid vom 07.10.2013 feststellte. Der Vergleich ging zurück auf den Hinweis der damaligen Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Sozialgerichts, dass eine rheumatische Erkrankung, die sich im Bereich der Hände und der Füße äußere, vor dem Hintergrund der Einnierigkeit nicht ausreichend therapierbar sei. Auch wenn ein Einzel-GdB von 30 hierfür großzügig sei und die Einnierigkeit eigentlich nur einen Einzel-GdB von 25 bedinge, sei ein Gesamt-GdB von 40 eben angemessen. 2016 stellte die Klägerin einen weiteren erfolglosen Verschlimmerungsantrag.

Am 08.11.2017 stellte die Klägerin den hier gegenständlichen Verschlimmerungsantrag und beantragte zugleich die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G". Der Beklagte holte diverse Befundberichte und eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. L ein. Dieser führte aus, die Einnierigkeit und eine Funktionsstörung der Hände seien mit Einzel-GdB von jeweils 30 zu bewerten. Darüber hinaus lägen eine psychovegetative Störung/Migräne, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, eine periphere Nervenstörung, eine Funktionsstörung des rechten Schultergelenks und Schwindel/Ohrgeräusche vor, die jeweils mit Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Der GdB betrage insgesamt weiter 40. Der Beklagte lehnte darauf den Antrag der Klägerin ab. Diese legte am 19.02.2018 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2018 zurückwies.

Am 22.03.2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, u.a. wegen der Versorgung der nierenkranken Tochter bestehe eine höhergradige psychische Erkrankung, die nunmehr im Vordergrund stehe. In den eingeholten Befundberichten werde ein entsprechender Verdacht geäußert. Sie sei allerdings nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Im Laufe des Verfahrens hat sie nur noch einen höheren GdB begehrt und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nicht mehr geltend gemacht

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2018 zu verurteilen, bei ihr ab dem 08.11.2017 einen GdB von 50 festzustellen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Sozialgericht hat von Amts wegen diverse Behandlungsunterlagen beigezogen und ein Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter Untersuchung des Facharztes für Nerven...

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