rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtlicher Vergleich. Zwangsvollstreckung. Auslegung. vollstreckungsfähiger Inhalt. Ausführung des Vergleichs
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein gerichtlicher Vergleich, nach dem dem Kläger Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab Antragstellung zu gewähren sind, ist – auch wenn keine konkrete Leistung bezeichnet ist – wie ein Grundurteil vollstreckungsfähig.
2. Dass die persönlichen Voraussetzungen einer Rehabilitationsleistung gem. § 10 Abs. 1 SGB VI nicht nachgewiesen sind, steht einer vergleichsweisen Einigung hierüber nicht entgegen.
3. Ein die Behörde zur Leistungsgewährung verpflichtender Vergleich ist im Hinblick auf die Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gem. §§ 201, 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG vollstreckbar.
4. Insoweit ist § 201 SGG Sondervorschrift zu §§ 198 Abs. 1 SGG, 888 ZPO.
Normenkette
SGG § 198 Abs. 1, 3, § 199 Abs. 1 Nr. 3, § 201 Abs. 1 Sätze 1-2; ZPO §§ 793, 888; SGB VI § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Münster (Entscheidung vom 29.09.2003; Aktenzeichen S 7 KN 39/01) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 29.09.2003 geändert. Der Antragsgegnerin wird gegen Androhung eines Ordnungsgeldes von 1.000 Euro aufgegeben, dem Antragsteller binnen 4 Wochen einen Bescheid über die Bewilligung von Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit zu erteilen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Gründe
I. Gegenstand des vorausgegangenen Klageverfahrens (SG Münster S 7 KN 39/01; LSG NRW L 2 KN 188/01) war ein mit Antrag vom Mai 2000 geltend gemachter Anspruch des Antragstellers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Versichertenrente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit). Die Antragsgegnerin (Bescheid vom 28.08.2000; Widerspruchsbescheid vom 08.01.2001)) und das Sozialgericht (SG) Münster (Urteil vom 06.11.2001) haben einen solchen Anspruch verneint. Das SG hat sich zur Begründung auf eine Sachverständigengutachten des Nervenarztes Dr. W bezogen. Der Sachverständige hat beim Kläger eine Persönlichkeitsstörung festgestellt und den Verdacht geäußert, dass dafür eine hirnorganische Grundlage bestehe. Die Reintegration ins Erwerbsleben sei wegen der persönlichkeitsbezogenen, der willentlichen Steuerung nur bedingt unterliegenden Verhaltensauffälligkeiten problematisch. Er halte es für ratsam, eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme durchzuführen. Ein Rehabilitationsversuch erscheine nicht aussichtslos (Gutachten vom 26.04.2001). Im Berufungsverfahren hat der Vertreter der Antragsgegnerin im Verhandlungstermin vor dem Senat am 21.11.2002 erklärt, die Beklagte verpflichte sich, "dem Kläger eine solche Reha-Maßnahme zu gewähren, wie sie Dr. W angeregt hat, und dem Kläger Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab Antragstellung zu gewähren". Der Antragsteller hat sich mit dem Angebot einverstanden und den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Im Folgenden hat der Antragsteller gegenüber dem SG auf dieser Grundlage Zahlung von Rente "unabhängig von Reha" begehrt. Das SG hat - als Vollstreckungsgericht - entschieden, der "Beklagten" werde zur Ausführung des Vergleichs vom 21.11.2002 eine Frist bis zum 25.11.2003 gesetzt. Innerhalb dieser Frist sei nachzuweisen, dass dem Kläger eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation - unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht - angeboten worden ist. In den Gründen heißt es ua: "Kommt die Maßnahme zustande, wird die Beklagte in Ausführung des Vergleichs vom 21.11.2002 zu prüfen haben, ob dem Kläger Leistungen ab Antragstellung 04.05.2000 zustehen" (Beschluss vom 29.09.2003).
Mit seiner Beschwerde erstrebt der Antragsteller weiter Zahlung von Rente aufgrund der Erklärung der Antragsgegnerin im Termin am 21.11.2002. Die Antragsgegnerin hat dies abgelehnt und gemeint, sie habe sich mit ihrer Erklärung dazu nicht verpflichtet.
II.
Die (einfache) Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) als Vollstreckungsgericht ist statthaft, § 198 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil sie das zutreffende Rechtsmittel in den Fällen ist, in denen nach dem Achten Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) die sofortige Beschwerde vorgesehen ist (vgl § 793 ZPO).
Der Antragsteller ist durch die angefochtene Entscheidung beschwert. Zwar wird darin nicht ausdrücklich sein Vollstreckungsbegehren aus dem Vergleich vom 22. November 2002 auf Bewilligung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit behandelt, indes ergibt eine Auslegung des angefochtenen Beschlusses unter Heranziehung der Gründe, dass das SG über das gesamte Vollstreckungsbegehren entschieden hat.
Der Kläger hat im Beschwerdeverfahren ausdrücklich die Vollstreckung eines Anspruchs auf "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit" begehrt. An der Vollstreckung der gleichfalls von der Antragsgegnerin übernommenen Verpflichtung, eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zu gewähren, war er dagegen offenbar nicht (mehr) interessiert. Das SG hat sich ausdrücklich zwar nur zu diesem ...