Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Rechtsstreit eines Unionsbürgers über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen
Orientierungssatz
1. Liegt dem geltend gemachten Anspruch eine bisher ungeklärte Rechtsfrage zugrunde, so sind die Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung als hinreichend anzusehen.
2. Wer als Ausländer über eine unbefristete Arbeitserlaubnis und eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU verfügt, erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2. Ob er als Angehöriger der Europäischen Union nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von dem Leistungsanspruch ausgenommen ist, ist bisher nicht abschließend geklärt.
3. Nicht geklärt ist, ob es sich bei den Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 um beitragsunabhängige Geldleistungen i. S. des Art. 4 Abs. 2 a EWGV 1408/71 oder um Sozialhilfe i. S. von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt. Sind die Grundsicherungsleistungen als Leistungen zu qualifizieren, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, so können sie EU-Angehörigen nicht vorenthalten werden.
4. Angesichts dieser bisher ungeklärten Rechtsfrage ist in einem solchen Fall PKH zu bewilligen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 26.05.2010 geändert und den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H ab dem 12.05.2010 bewilligt.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die Antragstellerin zu 1), die polnische Staatsangehörige und Mutter des 1996 geborenen Antragstellers zu 2) ist, übte vom 01.08.2007 bis 30.12.2008 ein angemeldetes Gewerbe als Prostituierte in der Bundesrepublik Deutschland aus. Ob sie sich nach der Abmeldung des Gewerbes in der Bundesrepublik Deutschland oder in Polen aufgehalten hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 15.03.2010 beantragten die Antragsteller Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II), was die Antragsgegnerin im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1) weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland freizügigkeitsberechtigt sei, ablehnte.
Den Antrag der Antragsteller auf vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung der Grundsicherungsleistungen hat das angerufene Sozialgericht (SG) Köln mit Beschluss vom 26.05.2010 ebenso wie Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Das SG hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags im Sinne der §§ 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) verneint.
Auch wenn die vom SG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vertretene Auffassung vertretbar erscheint, dass aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörige von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei (ebenso z. B. Hessisches LSG Beschl. v. 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER - = www.juris.de), hätte es im Hinblick auf die damit verbundenen offenen Rechtsfragen und in Anbetracht der Rechtsprechung des LSG NW (vgl. Beschl. des Senats v. 17.02.2010 - L 19 B 392/09 AS ER -; LSG NW Beschl. v. 25.03.2010 - L 7 AS 327/10 B ER - und L 7 B 172/09 AS ER ) die Möglichkeit eines Erfolges des Antrages nicht verneinen dürfen. Dass die Antragstellerin zu 1), die über eine unbefristete Arbeitserlaubnis und eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU verfügt, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II grundsätzlich erfüllt, hat auch das SG zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Ob sie als Angehörige der Europäischen Union (EU) gleichwohl aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von dem Leistungsanspruch ausgenommen ist, ist dagegen entgegen der Auffassung des SG bisher nicht hinreichend geklärt und auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) v. 12.03.2009 - C 22 und 23/08 - nicht abschließend geklärt (vgl. etwa die Besprechung von Schreiber, info also 2009, 195).
Fraglich ist zunächst schon, ob der Aufenthalt eines EU-Angehörigen zwecks Arbeitssuche nach Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit - sei es bei durchgehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder nach einer Wiedereinreise - überhaupt unter die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt (ablehnend für den Fall einer vorherigen Beschäftigung Bayrisches LSG Beschl. v. 12.03.2008 - L 7 B 1104/07 AS ; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 08.06.2009 - L 10 AS 617/09 B ER - u. Beschl. v. 14.11.2006 - L 14 B 963/06 AS ER ; Schreiber a. a. O. 197, der dies auch aus der genannten Entscheidung des EuGH ableitet). Ferner erscheint es zweifelhaft, ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem S...