Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache

 

Orientierungssatz

1. Die Berufung ist nach § 144 Abs. 2 SGG bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

2. Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den konkreten Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtssicherheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich ist und deren Klärung auch durch das Gericht zu erwarten ist.

3. Steht lediglich die Würdigung von Besonderheiten des Einzelfalls in Frage, so ergibt sich hieraus nicht eine verallgemeinerungsfähige grundsätzlich zu klärende Rechtsfrage.

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.06.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Berufung gegen das klagestattgebende Urteil des Sozialgerichts (SG) Köln - S 6 AS 687/12 - hinsichtlich der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für ein Widerspruchsverfahren um Mahngebühren.

Das Jobcenter L machte gegenüber dem minderjährigen Kläger mit Bescheid vom 06.07.2010 eine Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 40,00 Euro geltend. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Bevollmächtigte, Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 04.09.2011 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung einer Erstattungsforderung aus einem "Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010" binnen einer Woche auf und setzte gleichzeitig unter Berufung auf § 19 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes Mahngebühren in Höhe von 0,80 Euro fest. Dem Schreiben war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.

Der Kläger legte durch seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom 19.09.2011 Widerspruch ein. Es gebe keinen Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010. Gegen den Bescheid vom 06.07.2010 sei Widerspruch eingelegt worden. Dieser habe aufschiebende Wirkung.

Die Beklagte erließ am 23.09.2011 einen Abhilfebescheid und entsprach dem Widerspruch in vollem Umfang. Sie erklärte sich bereit, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen, erkannte jedoch die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht an. Den gegen letztere Ablehnung gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2011 zurück. Von einem rechtskundigen verständigen Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Klägers wäre aufgrund des Kostenrisikos im Verhältnis der geringen Mahngebühr zu den anfallenden Anwaltskosten kein Rechtsanwalt beauftragt worden. Dem Kläger sei es zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen.

Auf die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hat das SG Köln die Beklagte mit Urteil vom 22.06.2012 verpflichtet, die Zuziehung der Bevollmächtigten zum Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 04.09.2011 für notwendig zu erklären. Die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sei dann zu bejahen, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen sowie wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten sei, das Vorverfahren selbst zu führen bzw. wenn die Partei es aus subjektiver ex-ante-Sicht für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden und diesen dann zugezogen habe (LSG München Urteil vom 12.05.2010 - L 16 AS 829/09 m.w.N.; LSG NRW Beschluss vom 11.01.2012 - L 19 AS 1975/11 B). Abzustellen sei auf den Einzelfall, dies insbesondere unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Klägers. Die Notwendigkeit werde in der Regel anzunehmen sein, da der Bürger nur in Ausnahmefällen seine Rechte gegenüber der Verwaltung selbst wahren könne (LSG München, a.a.O.; von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010 § 63 Rn 26). Relevant sei mithin, ob ein vernünftiger Bürger mit dem gleichen Bildungs- und Erfahrungsstand wie der Kläger sich bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Dies sei zur Überzeugung der Kammer hier der Fall. Da es sich bei dem Kläger um ein minderjähriges Kind handele, sei auf den Bildungs- und Erfahrungsstand seiner Mutter, Frau U, als vertretungsberechtigtem Elternteil abzustellen. Die Mutter sei nach ihrer Einwanderung aus ihrem Heimatland, dem Kongo, in der Bundesrepublik nicht berufstätig gewesen. Die Kammer habe sich in der mündlichen Verhandlung ein Bild davon gemacht, dass sie der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Selbst einfachste Fragen seien kaum verstanden und nach umständlicher Erklärung des Sinngehalts nur beschränkt verständlich beantwortet worden. Die Kammer habe keine Zweifel daran, dass die Mutter den Sinngehalt der Mahnung sowie eventueller Rechtsbehelfe nicht verstanden habe. Sie habe überzeugend und glaubhaft geschildert, sich wegen des fehlenden Verständnisses an eine B...

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