Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Rechtsstreit über die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe des SGB 2 und des SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Prozesskostenhilfe ist zu gewähren, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Bei der Frage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des 2. und 12. Buches des SGB die vom BVerfG in dessen Entscheidung vom 9. 2. 2010 aufgezeigten Anforderungen erfüllt, handelt es sich um eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage, vgl. BVerfG, Beschluss vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09.

2. Nach der Entscheidung des BVerfG ergibt sich die Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 2 1. HS. i. V. m. § 20 Abs. 1 SGB 2 daraus, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Regelleistung das von ihm gewählte Verfahren nicht stringent beibehalten hat, sondern von den Strukturprinzipien des Statistikmodells ohne sachliche Rechtfertigung abgewichen ist, ohne diese durch andere tragfähige Kriterien zu ersetzen.

3. Ist zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Antrags umstritten, ob der Gesetzgeber diese Anforderungen des BVerfG erfüllt hat, so ist in einem Rechtsstreit über die verfassungsgemäße Regelleistung des SGB 2 und des SGB 12 bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen PKH zu gewähren.

4. Der Anspruch auf Gewährung von PKH besteht für das erste gerichtliche Verfahren, mit dem die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe geltend gemacht wird. Für weitere Zeiträume besteht für denselben Leistungsberechtigten bei Parallelität der Fallgestaltung kein Anspruch auf PKH.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.07.2012 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S aus E beigeordnet.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt, vorverlagert werden. Letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung müssen nicht ausgeschlossen sein, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel weder möglich noch notwendig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7, 7a, 7b). Es reicht für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R). Diese ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (Hdb SGG - Udsching, VI Rn. 60; Leitherer, a.a.O., Rn. 7).

Die Klage vom 16.02.2012 gegen den Bescheid vom 14.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2011 hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Eine Erfolgsaussicht in diesem Sinne ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Klärung der Verfassungskonformität der Neuregelung des Regelbedarfs nicht die Verurteilung des Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren, genau bezifferten Regelbedarfs bedingt (so LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1928/11 B). Dies ergibt sich auch mittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG], Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Denn das BVerfG bestimmt genau in dieser Konstellation, dass "die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften und ihrer Nachfolgeregelungen bei Kostenentscheidungen zugunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen seien, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 219). Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist somit davon abhängig, ob eine gute Möglichkeit des Obsiegens in Bezug auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit besteht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2011 - L 7 AY 3538/11 B; Düring in Jansen, SGG, § 73a Rn. 12).

Diese gute Möglichkeit des Obsiegens ist unter Beachtung des Vortrages der Klägerin, die mit Bescheid vom 14.10.2011 für die Zeit von Dezember 2011 bis Juni 2012 berücksichtigten Regelbedarfe seien der Höhe nach verfassungswidrig festgesetzt, zu bejahen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um die bisher...

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