Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Bewertung des Grades der Behinderung bei einem Prostatakarzinom. Ablauf der Heilungsbewährung als zur Änderung des GdB berechtigende wesentliche Änderung der Verhältnisse
Orientierungssatz
1. Verlief die Zeit einer Heilungsbewährung rezidivfrei (hier: nach Prostatakarzinom), so ist nach Ablauf der Heilungsbewährung von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse auszugehen, die zu einer Herabsetzung des ursprünglich angesetzten Grades der Behinderung führt.
2. Bei einer Impotenz infolge einer Prostatakarzinom-Operation ist nicht zusätzlich ein Einzel-GdB von 30 für ein mögliches gesteigertes sexuelles Verlangen des Betroffenen anzusetzen, da solche Begleiterscheinungen unmittelbar bei der Ermittlung des Einzel-GdB für die Prostataresektion erfasst sind.
3. Einzelfall zur Bestimmung eines Gesamt-GdB nach Prostataresektion infolge eines Krebserkrankung.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 31.07.2006 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Bei dem im Jahre 1944 geborenen Kläger wurde im Oktober 1999 ein Prostatakarzinom diagnostiziert und eine radikale Prostatovesikulektomie durchgeführt. Durch Bescheid vom 15.03.2000 wurde der Grad der Behinderung (GdB) wegen "1) Verlust der Prostata bei Gewebsneubildung, anhaltende Harninkontinenz" (Einzel-GdB 60) und "2) Depressionen" (Einzel-GdB 20) auf insgesamt 60 festgesetzt.
Nach Einholung eines Befundberichtes des Allgemeinmediziners Dr. F vom 16.12.2004 und Anhörung des Klägers setzte das Versorgungsamt L durch Bescheid vom 22.02.2005 den GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung herab auf 20 wegen der Beeinträchtigungen "1) Depressionen" (Einzel-GdB 20) "2) Rückfällige Wirbelsäulensyndrome bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen" (Einzel-GdB 10) "3) Harninkontinenz" (Einzel-GdB 10). Auf den Widerspruch des Klägers holte das Versorgungsamt einen Befundbericht des Urologen Dr. N ein, der dem Kläger auch eine Stressinkontinenz 1. bis 2. Grades sowie eine erektile Dysfunktion bescheinigte. Da die Harninkontinenz nunmehr mit einem GdB von 20 zu bewerten sei, half das Versorgungsamt dem Widerspruch durch Bescheid vom 23.06.2005 insoweit ab, als der GdB mit 30 festgestellt wurde. Den weitergehenden Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2005 als unbegründet zurück:
Mit der am 20.10.2005 beim Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Er hat zunächst vorgetragen, die bei ihm bestehende erektile Dysfunktion sei nach wie vor nicht berücksichtigt worden. Auch leide er psychisch sehr unter seiner Unfähigkeit, den Beischlaf auszuführen. Deshalb sei der GdB weiterhin mit mindestens 50 zu bewerten. Er hat sich in seiner Auffassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt gesehen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Dr. C vom 03.03.2006 sowie des Urologen Prof. Dr. I vom 16.02.2006. Der urologische Sachverständige hat einen Einzel-GdB von jeweils 20 angesetzt für den Zustand nach Heilungsbewährung bei Prostatakarzinom mit Inkontinenz und eine Sexualfunktionsstörung mit Impotentia coeundi (erektile Dysfunktion). Für diese Funktionsstörungen der Harn- und Geschlechtsorgane hat er einen GdB von insgesamt 30 vorgeschlagen. Der Sachverständige Dr. Dr. C für sein Fachgebiet hat zusätzlich eine chronifizierte Belastungsstörung mit depressiven Störungen und Somatisierungsstörungen mit dem Einzel-GdB 30 bemessen und den Gesamt-GdB mit 50 eingeschätzt. Dies hat er mit einer Überschneidung der funktionellen Auswirkungen der Sexualfunktionsstörungen sowie der Inkontinenz mit den psychischen Belastungsreaktionen und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit in intimen Beziehungen und auch der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen begründet.
In der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2006 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, wonach der Gesamt-GdB ab 22.02.2005 mit 40 bewertet wird; dieses hat der Kläger angenommen. Die weiter gehende Klage hat das SG mit Urteil vom selben Tage als unbegründet abgewiesen: Mit dem rezidivfreien Ablauf der Heilungsbewährung sei die Neubewertung des Leidens eröffnet, wobei nur noch der bestehende Funktionsverlust, aber nicht mehr die im Zeitraum der Heilungsbewährung noch bestehende hohe Rezidivgefahr und die damit verbundenen psychischen Ängste berücksichtigt würden. Der GdB betrage in der Gesamtschau der körperlichen und seelischen Folgen der Prostatakrebserkrankung nach den Gutachten der Sachverständigen 40. Dem habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung durch Abgabe eines entsprechenden Teilanerkenntnisses Rechnung getragen.
Gegen das ihm am 09.08.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.08.2006 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, seine psychis...