Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht. Abgrenzung. abhängige Beschäftigung von selbstständiger Tätigkeit. Supermarkt. Regalauffüller. notwendige Beiladung möglicher Versicherter. Versäumung der Antragsfrist
Orientierungssatz
1. § 75 Abs. 2a S. 9 SGG lässt auch die Beiladung nach verspätetem Antrag zu. Dies ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt, da anderenfalls einem Versicherten aufgrund eines relativ geringen Verfahrensversäumnisses unter Umständen ein nachhaltiger, unverhältnismäßiger, materieller Schaden bei einem nicht nur mittelbaren Eingriff in subjektive Rechte entstehen könnte.
2. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV. Eine Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführungen umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (Vergleiche BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R = SozR 4-2400 § 7 Nr. 5, st. Rspr.).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 05.07.2007 geändert. Die Antragstellerin wird zum Verfahren S 4 (10) RJ 78/02 vor dem Sozialgericht Münster gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (notwendig) beigeladen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Kostenentscheidung zur Hauptsache vorbehalten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die bislang am Gerichts- und Verwaltungsverfahren nicht förmlich beteiligte, 1949 geborene (jetzt 58 Jahre alte) Antragstellerin (d. AStn.) zu dem zwischen den Hauptbeteiligten schwebenden Rechtsstreit über die Versicherungspflicht von mehr als 300 Mitarbeiterinnen der Klägerin (d. Kl.) beigeladen werden muss, nachdem das Sozialgericht alle Interessierten zuvor aufgefordert hatte, sich binnen einer (Ausschluss-)Frist bis zum 31.05.2006 als Beizuladende zu melden, die AStn. ihren Beiladungsantrag jedoch erst nach fast einem Jahr seit Fristablauf gestellt hat.
D. Kl. betreibt - unter mehrfach wechselnder Firmenbezeichnung - ein bundesweit handelndes Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie stellt in erster Linie Strumpfwaren, aber auch Unterwäsche, sonstige Wäscheartikel und Strickwaren, her (im Wesentlichen unter dem bundesweit bekannten Markennamen "O"); sie vertreibt diese u.a. auch im hier speziell interessierenden Bereich der Super-, Lebensmittel- und Verbrauchermärkte. Dazu unterhält sie ein Netz von Mitarbeiterinnen, die unter der Führung von Gebietsleiterinnen im Wesentlichen den Auftrag haben, - die Strumpf- und Wäschewaren attraktiv in - vielfach von d. Kl. gelieferte - Ständer, Regale und besondere Werbeträger einzuräumen und auszuzeichnen, - von d. Kl. vorgegebene Werbeaktionen durchzuführen, -verkaufte Artikel zu notieren und diese für Rechnung des jeweiligen Supermarktes und (in Absprache mit dem/r jeweiligen Leiter/-in) täglich (nach-) zu bestellen, - außerdem zurückgehende Ware an d. Kl. weiterzuleiten.
Die von den Märkten mithilfe der genannten Mitarbeiter/-innen bestellte Ware wird von d. Kl. zeitnah und unmittelbar an die Märkte geliefert und dort durch die Mitarbeiter/-innen d. Kl. bei nächster Gelegenheit ausgepackt und sachgerecht eingeräumt. Die einzelnen Umstände der Mitarbeit sind von Fall zu Fall verschieden und zum Teil vehement umstritten.
Ein/e Mitarbeiter/-in betreut einen oder mehrere Supermärkte, je nach Absprache und zeitlicher Verfügbarkeit. Vielfach erzielten die Mitarbeiter/-innen - abhängig von ihrem Einsatz und Geschick - eine Jahresvergütung von bis zu ca. 30.000 DM/15.000 Euro.
Zu den aufgezeigten Zwecken hat d. Kl. mit dem beschriebenen Personenkreis Verträge über eine "freie Mitarbeit" geschlossen, wonach die skizzierten Aufgaben nach einem "gemeinsam erstellten Plan" in freier Zeitbestimmung, allerdings unter Wahrung der Interessen d. Kl., ausgeführt werden sollen. Die Vergütung/Honorierung erfolgt nach der Zahl der verkauften Stücke bzw. nach einem Umsatzanteil. Bei Verhinderung (durch Krankheit oder andere Umstände) ist d. Mitarbeiter/-in verpflichtet, dies d. Kl. anzuzeigen; eine Vergütung erfolgt dann nicht. Die (ordentliche) Kündigung des Vertragsverhältnisses sei gemäß § 89 des Handelsgesetzbuchs (HGB) innerhalb von einem Monat zum Monatsende möglich.
Die bisher Bei...