Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterhin ungeklärte Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2. Arbeitslosengeld II. Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche. Einstweilige Anordnung. Folgenabwägung. Komplexe Rechtslage
Orientierungssatz
1. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 11. 11. 2014 die europarechtliche Konformität des in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 geregelten Leistungsausschlusses nicht ausdrücklich bestätigt. Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht noch aus.
2. Für die Fallgestaltung des wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgers ist damit weiterhin umstritten, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 tatbestandlich greift oder im Wege des Erst-Recht-Schlusses anzuwenden ist oder sich ein Leistungsanspruch in Anwendung deutschen Verfassungsrechts ergibt.
3. Wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen des SGB 2 sind dem Antragsteller im Wege der Folgenabwägung bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtsschutz zu bewilligen.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 1, 19 Abs. 4
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 15.12.2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen ihre einstweilige Verpflichtung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen.
Die verwitwete bulgarische Antragstellerin lebt seit 2011 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erhielt in Ausführung einer gerichtlichen einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bis zum 30.04.2014. Die Antragstellerin ging im Zeitraum vom 22.04.2014 bis zum 31.05.2014 einer geringfügigen Beschäftigung zu 20 Stunden im Monat mit einem Stundenlohn von 9,31 EUR zzgl. Fahrgeld als Reinigungskraft bei der Firma W + S X GmbH (Gebäudereinigung) nach. Am 16.06.2014 beantragte sie die Weitergewährung der Leistungen. Seit dem 16.11.2014 geht sie einer Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma C, I mit einem monatlichen Einkommen von 160,00 EUR nach.
Am 15.08.2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Im Wege der einstweiligen Anordnung sei die Antragsgegnerin zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten. Sie genieße seit Aufnahme ihrer Tätigkeiten einen Arbeitnehmerstatus, der einen ausreichenden Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt herstelle.
Mit Bescheid vom 02.09.2014, persönlich zugestellt an die anwaltlich vertretene Antragstellerin, hat die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen abgelehnt.
Mit Beschluss vom 15.12.2014 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs ohne Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 18.08.2014 bis zum 15.11.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu "gewähren". Der Antrag sei statthaft, insbesondere fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis aufgrund einer Bestandskraft des Bescheides vom 02.09.2014. Der Bescheid sei nicht ordnungsgemäß an den beauftragten Rechtsanwalt zugestellt worden, so dass auch für den Fall eines fehlenden Widerspruchs keine Bestandskraft eingetreten sei. Der Antrag sei im Hinblick auf den Regelbedarf ohne die Kosten für Unterkunft und Heizung im tenorierten Umfang begründet. Die Antragstellerin gehöre bis zum 15.11.2014 zur Personengruppe der Unionsbürger ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung. Die vorher ausgeübte Tätigkeit sei derart geringfügig gewesen, dass sie einer wirtschaftlich inaktiven Person gleichwertig und nicht von einem Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU auszugehen sei. Auch eine erfolgversprechende Arbeitssuche lasse sich für diesen Zeitraum nicht feststellen. Damit gehöre die Antragstellerin zum Personenkreis der materiell Nicht-Freizügigkeitsberechtigten. Solange die daraus resultierende Ausreisepflicht nicht im dafür vorgesehen Verfahren festgestellt worden sei, seien Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Dem stehe weder die Entscheidung des BSG vom 12.12.2013, B 4 AS 9/13 R, juris noch die Entscheidung des EUGH vom 11.11.2014 in der Rechtssache C 333/13 "Dano" entgegen. Nach dieser Entscheidung sei nur davon auszugehen, dass der Gesetzgeber berechtigt wäre, eine europarechtskonforme Regelung zu schaffen, die für diesen Personenkreis einen Ausschluss bei den SGB-II-Leistungen vorsehe. Eine solche Regelung liege derzeit noch nicht vor. Für diesen Zeitraum sei die Hilfebedürftigkeit durch die Antragstellerin auch glaubhaft gemacht. Eine Erstreckung auf den Zeitraum danach sei nicht geboten. Ab dem 16.11.2014 sei von einem Arbeitnehmerstatus auszugehen. Für diesen Zeitraum sei die Antragstellerin Arbeitnehmerin und ihr das Abwart...