Entscheidungsstichwort (Thema)

Versagung von Prozesskostenhilfe wegen einer im Parallelverfahren bereits bewilligten Prozesskostenhilfe bzw. wegen Anhängigkeit eines sog. Musterverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen beantragter PKH besteht nicht für die Klärung der betreffenden Rechtsfrage in mehr als einem Verfahren für den Kläger. Durch die in einer Sache bereits gewährte anwaltliche Beratung und Prozessführung wird der Antragsteller in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in Parallelfällen hinreichend zu beurteilen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2011 - 1 BvR 3151/10.

2. Dies gilt erst recht dann, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits Verfahren vor dem BSG anhängig waren, welche dieselbe Rechtsfrage zum Gegenstand hatten, vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. November 2009 - 1 BvR 2455/08.

3. Es reicht aus verfassungsrechtlicher Sicht aus, wenn dem Betroffenen nach Ergehen der sog. Musterentscheidung noch alle prozessualen Möglichkeiten offenstehen, umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistungen sind mehrere Revisionen beim BSG anhängig. War dies zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch das BSG bereits bekannt gemacht, so war es dem Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung zuzumuten gewesen, das Betreiben des eigenen Verfahrens zurückzustellen bzw. förmlich zu beantragen, im Hinblick auf die anhängigen Revisionen das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 03.05.2012 abgeändert. Den Klägern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten ist nicht erforderlich.

 

Gründe

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.

Die Kläger stehen im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchendes - (SGB II).

Hinsichtlich der Höhe der ihnen zustehenden Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 führen die Kläger unter dem Aktenzeichen S 60 AS 4737/11 einen Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Dortmund.

Mit Bescheiden vom 16.05.2011, 12.07.2011 und 01.08.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis 31.12.2011. Gegen diese Bescheide legten die Kläger jeweils Widerspruch ein, die am 12.10.2011 beschieden wurden.

Am 02.11.2011 haben die Kläger Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 16.05.2011, 12.07.2011 und 01.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2011 zu verurteilen, die ihnen nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zustehenden Leistungen zu bewilligen. Zur Begründung haben sie ausgeführt die Regelungen über die Höhe der Leistungen sei für die Zeit ab dem 01.01.2011 verfassungswidrig.

Darüber hinaus haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, J, beantragt.

Mit Beschluss vom 03.05.2012, den Klägern zugestellt am 14.05.2012, hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt T, J, abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

Hiergegen haben die Kläger am 15.05.2012 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung verweisen sie erneut darauf, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2011 aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen

II.

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist teilweise begründet.

Prozesskostenhilfe steht den Klägern nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) dann zu, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach summarischer Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht aufweist.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wobei diese angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2010 - 1 BvR 1873/09 = NJW 2010, 3083 ff.= juris Rn. 11; Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 = NJW 2008, 1060 ff. = juris Rn. 23 m.w.N). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Parteien bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung ihrer Rechtsstandpunkte. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren bietet dabei auch dem entscheidenden Gericht nicht selten die Möglichkeit seine eigene - im Prozesskostenhilfeverfahren aufgrund summarischer Prüfung...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?