Entscheidungsstichwort (Thema)

Versagung von Prozesskostenhilfe bei Rechtshängigkeit eines Musterverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage abzulehnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig und die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich ist.

2. Mutwillig ist die Rechtsverfolgung dann, wenn ein vernünftiger anderer Beteiligter, der für die Kosten selbst aufkommen muss, den Prozess nicht führen würde.

3. Die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung entfällt in den Fällen, in denen über die in einem anhängigen Revisionsverfahren zu entscheidenden Gesichtspunkte keine weiteren Besonderheiten des Einzelfalls oder bisher nicht berücksichtigte Aspekte geltend gemacht werden, die es rechtfertigen, ein eigenständiges Verfahren mit anwaltlicher Hilfe zu führen.

4. In einem solchen Fall würde ein Bemittelter von der Durchführung eines eigenen Klageverfahrens absehen. Ausreichend ist, wenn das Ruhen des Verfahrens beantragt wird. Dies kann ohne Weiteres auch ohne anwaltliche Hilfe erfolgen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.04.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.

Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht des Verfahrens kann sich hier allein aus den in Schrifttum und Rechtsprechung bestehenden Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der ab dem 01.01.2011 geltenden Regelsätze ergeben, weil Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung der Leistungen durch den Beklagten nicht ersichtlich sind.

Nachdem nunmehr beide für den Bereich der Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelleistungen jedenfalls für alleinstehende Erwachsene verneint haben (vgl. BSG, Urteile vom 12.07.2012 - B 14 AS 153/11 R und B 14 AS 189/11 R; Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 12/12 R) und das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile vom 12.07.2012 nicht zur Entscheidung angenommen hat (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 unveröffentlicht; BVerfG, Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 unveröffentlicht) ist bereits äußerst fraglich, ob allein unter Berücksichtigung des beim Bundesverfassungsgericht noch anhängigen Vorlageverfahrens (1 BvL 10/12) hinreichende Erfolgsaussichten für eine Klage auf höhere Leistungen nach dem SGB II bestehen.

Dies kann hier aber dahinstehen, weil die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage schon deshalb abzulehnen ist, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls mutwillig und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich ist.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint, ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten, dass es nicht zu einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, kommen darf (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.04.2012 - 1 BvR 2869/11; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.11.2009 - 1 BvR 2455/08). Mutwillig ist die Rechtsverfolgung daher gemäß § 114 ZPO dann, wenn ein verständiger und vernünftiger anderer Beteiligter, der für die Kosten selbst aufkommen muss, den Prozess nicht führen würde (vgl. BSG, Beschluss vom 24.05.2000 - B 1 KR 4/99 BH). Nach § 121 Abs. 2 ZPO wird einem Prozessbeteiligten zudem ein Rechtsanwalt nur beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Der Senat geht davon aus, dass für Verfahren, in denen allein um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelsätze ab dem 01.01.2011 gestritten wird, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsschutzgleichheit keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 23.05.2013 - L 2 AS 548/13 B; vom 22.02.2013 - L 2 AS 2302/12 B; vom 27.04.2012 - L 2 AS 616/12 B), weil ein kostenbewusster Bemittelter nach Rechtshängigkeit eines Musterverfahren auf die Durchführung eines weiteren Klageverfahrens mit dem gleichen Ziel und unter Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten verzichtet hätte (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.07.2012 - L 6 AS 12/12 B). Die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung kann zwar nicht pauschal mit der Ve...

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