Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Orientierungssatz
1. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 erfordert eine Prüfung der Gründe des Aufenthaltsrechts des Unionsbürgers am Maßstab des FreizügG und des AufenthG. Danach muss positiv festgestellt werden, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik zusteht (Anschluss BSG Urteil vom 30. Januar 2013, B 4 AS 54/12).
2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG haben Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, ein Aufenthaltsrecht bis zu sechs Monaten und darüber hinaus, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; danach nur dann, wenn sie ernsthafte Bewerbungsbemühungen konkret belegen können.
3. Diese Voraussetzungen sind u. a. dann erfüllt, wenn sie nachweislich bereits mit existenzsicherndem Verdienst gearbeitet haben und eine weitere Arbeitsuche nachweisen können.
4. Weil weiterhin offen ist, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist, sind dem Antragsteller bei nachgewiesener Arbeitsuche durch einstweiligen Rechtschutz wegen des existenzsichernden Charakters im Wege der Folgenabwägung Leistungen der Grundsicherung zu gewähren.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 19.05.2015 geändert. Der Antragsgegner wird einstweilig verpflichtet, der Antragstellerin die Regelleistung nach § 20 SGB II auf der Berechnungsgrundlage eines monatlichen Anspruchs von 399,00 EUR abzüglich gegebenenfalls anrechenbarer Einkünfte für den Zeitraum vom 30.04.2015 bis 31.10.2015 zu gewähren. Die darüber hinausgehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und die Rechtsanwaltssozietät T und Partner, E, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.
Die am 00.00.1965 geborene Antragstellerin bulgarischer Nationalität hält sich nach eigener Angabe seit Ende 2009 im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners auf. Sie hat nach ihren Angaben die Schule bis zum achten Schuljahr besucht und Schneiderin gelernt. In der Bundesrepublik hat sie von Juli bis Oktober 2012 und sodann vom 13.05.2013 bis 11.05.2014 als Reinigungskraft im Angestelltenverhältnis gearbeitet, im Anschluss hieran bezog sie vom 12.05. bis 10.11.2014 Alg I in Höhe von 607,50 EUR monatlich, in der Folge Alg II. Bis zum 30.04.2015 bewohnte sie gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Familie aufgrund eines mit dem Sohn abgeschlossenen Mietvertrages die ab dem 01.05.2015 zu einer Warmmiete von 420,00 EUR monatlich von ihr alleine gemietete und genutzte Wohnung.
Nach Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 27.01.2014 (Bescheid vom 28.03.2014) bezog die Antragstellerin im Ergebnis des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes S 39 AS 4660/14 ER, (SG Duisburg) vorläufig bewilligte Leistungen in Höhe von monatlich 408,18 EUR bis zum 30.04.2015. Nach Lage der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners ist bislang weder über den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.03.2014 noch über den am 13.03.2015 gestellten Folgeantrag entschieden worden.
Mit Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 30.04.2015 im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen begehrt. Sie verfüge über keine Mittel zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts, bewerbe sich fortlaufend um Arbeitsplätze. Der Leistungsausschluss wegen Aufenthaltes alleine zur Arbeitsuche nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei ungeklärt. Deshalb seien ihr - entweder über § 328 SGB III oder im Wege der Folgenabwägung - Grundsicherungsleistungen vorläufig zuzuerkennen, wobei darauf hingewiesen werde, dass der 6. Senat des LSG NRW seine bisherige Rechtsprechung zur Frage der Eilbedürftigkeit bei Unterkunftskosten geändert habe. Sie sei nicht in der Lage, ihre Miete zu bezahlen, weshalb ihr Obdachlosigkeit drohe.
Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, nach Ablauf des 6-Monatszeitraumes aus § 2 Abs. 3 S. 2 Freizügig/EU im Anschluss an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung sei der Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin im November 2014 erloschen. Sie halte sich demzufolge alleine zur Arbeitsuche auf und sei vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II erfasst.
Mit Beschluss vom 19.05.2015 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin könne sich ausschließlich auf ein Aufenthal...