Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Sozialhilfeleistungen für einen rumänischen bzw. bulgarischen Staatsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Arbeitsuchende aus Rumänien und Bulgarien, die nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung-EU sind, sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen.

2. Nachrangig zugangsberechtigte Arbeitnehmer der neuen EU-Länder benötigen eine Arbeitsgenehmigung nach § 284 SGB 3, deren Erteilung erst geprüft werden kann, wenn der Arbeitnehmer einen einstellungsbereiten Arbeitgeber gefunden hat, der nachweisen muss, dass er für die benötigte Arbeit keinen bevorrechtigten Arbeitnehmer finden kann.

3. Von der Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit rumänischer und bulgarischer Staatsangehöriger hat die Bundesrepublik Gebrauch gemacht, mit der Folge der Anwendbarkeit des § 284 SGB 3.

4. Ein EU-Neubürger ist bei rechtmäßigem Aufenthalt in der Bundesrepublik aber nicht von jeglicher Unterstützung selbst bei untragbaren Verhältnissen ausgeschlossen. Solange er im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU ist, kommt bei untragbaren Verhältnissen eine Mindestsicherung nach dem SGB 12 bzw. dem Asylbewerberleistungsgesetz in Betracht, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R.

5. Steht einem EU-Neubürger nur das gewährte Kindergeld zur Verfügung und verfügt er bei Unterbringung bei Verwandten über keine eigene Wohnung, so ist es im Hinblick auf dessen minderjährige Kinder geboten, den Regelbedarf gemäß § 27 a SGB 12 unter Anrechnung des gewährten Kindergeldes durch einstweiligen Rechtsschutz zu bewilligen.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; SGB III § 284 Abs. 1; SGB XII § 23 Abs. 3 S. 1, §§ 27, 27a; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU § 5 Abs. 5, § 7 Abs. 1 S. 1; Richtlinie 2004/38/EG Art. 14 Abs. 4, Art. 24; AEUV Art. 18, 20-21, 45 Abs. 2; EGV Art. 12, 17-18, 39 Abs. 2; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 3 Abs. 3, Art. 4, 70; EU-Beitrittsvertrag zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien Art. 1 Abs. 3; Protokoll über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumänien in die Europäische Union Art. 20; Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Art. 1-6; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.04.2012 geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 15.03.2012 bis zum 30.09.2012 die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 27, 27a SGB XII unter Anrechnung des gezahlten Kindergeldes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren zu 1/2. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist insoweit begründet, als die Beigeladene verpflichtet ist, den Antragstellern die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung nach §§ 27, 27a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 15.03.2012 (Antrag beim Sozialgericht -SG-) bis zum 30.09.2012 unter Anrechnung des gezahlten Kindergeldes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05-, NVwZ 2005, S. 927).

Die Antragsteller haben gegenüber dem Antragsgegner keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Beigeladene ist jedoch verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 15.03.2012 bis zum 30.09.2012 die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 27, 27a SGB XII zu gewähren.

Gegenüber dem Antragsgegner feh...

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