Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsneubürger

 

Orientierungssatz

1. Zugang zu den Leistungen des SGB 2 hat ein Arbeitsuchender aus Rumänien und Bulgarien als Unionsneubürger, wenn er im Besitz einer Arbeitsgenehmigung-EU ist. Fehlt diese, so besteht ein objektiver Grund, ihn von diesen Leistungen auszuschließen.

2. Dem steht nicht der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 i. V. m. Art. 70 EGV Nr. 883/2004 entgegen. Die unterschiedliche Ausgestaltung von Vorschriften für Unionsalt- und -neubürger ist im Hinblick auf die eingeschränkte Freizügigkeit der EU-Neubürger unionsrechtlich gerechtfertigt, vgl. EuGH, Urteil vom 04. Juni 2009 - C 22/08.

3. Weil ein rumänischer bzw. bulgarischer Staatsbürger nur über ein eingeschränktes Freizügigkeitsrecht verfügt, ist er als Unionsneubürger von Leistungen des SGB 2 ausgeschlossen, solange er keine tatsächliche Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt nachweisen kann.

4. Es bestehen aber rechtliche Bedenken, EU-Neubürger bei rechtmäßigem Aufenthalt in der Bundesrepublik von jeglicher staatlicher Unterstützung selbst bei untragbaren Verhältnissen auszuschließen.

5. Steht Eltern minderjähriger Kinder zur Bestreitung des Lebensunterhalts nur das gewährte Kindergeld zur Verfügung, so ist ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 durch einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 29.11.2011 geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 09.11.2011 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 27, 27a SGB XII unter Anrechnung des gezahlten Kindergeldes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung ablehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist insoweit begründet, als nicht er, sondern die Beigeladene verpflichtet ist, den Antragstellern die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung nach §§ 27, 27a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 09.11.2011 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 27, 27a SGB XII unter Anrechnung des gezahlten Kindergeldes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05-, NVwZ 2005, S. 927).

Die Antragsteller haben gegenüber dem Antragsgegner keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Beigeladene ist jedoch verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 09.11.2011 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten die Regelbedarfe ohne Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß §§ 27, 27a SGB XII zu gewähren.

Gegenüber dem Antragsgegner fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Den Antragstellern, die bulgarische Staatsangehörige sind, steht ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht zu. Denn die Antragsteller sind ungeachtet der Frage, ob sie die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllen, jedenfalls gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Ausländer und ihre Familienangehörigen von den Leistungen ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche ergibt. Jedenfalls die Antragstellerin zu 1) gehört zu diesem Personenkreis. Sie hält sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf.

Ein anderer, Unionsbürgern gemä...

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