Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. einstweiliger Rechtsschutz. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer

 

Orientierungssatz

1. Es erscheint lediglich im Einzelfall zumutbar, zB bei erheblichen, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klärenden Zweifeln am Bestehen des Anordnungsanspruches, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit (niedrigeren) Leistungen nach § 3 AsylbLG wirtschaften zu müssen.

2. Rechtsmissbräuchlich ist das Verhalten eines Asylbewerbers nur dann, wenn es erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre. Dabei muss das rechtsmissbräuchliche Verhalten tatsächlich die Dauer des Aufenthalts beeinflusst haben.

3. Einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten wie der Vernichtung von Ausweispapieren steht es jedenfalls nicht gleich, wenn die Ausweispapiere an einen Schleuser abgegeben werden, denn insoweit hat der einreisende Ausländer nicht freiwillig selbst seine Ausweispapiere vernichtet.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 31.01.2006 geändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum 04.01. bis 31.05.2006 Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller vom 02.03.2006, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 06.03.2006), ist begründet.

Das SG hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu Unrecht abgelehnt. Danach kann das Gericht in der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt lediglich eine Regelungsanordnung nach § 86 Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht sind (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 120 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umstände nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Soweit dies nicht möglich ist, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.).

Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist hier erforderlich, um den Lebensunterhalt der Antragsteller zu sichern. Der Senat hat insoweit bereits wiederholt entschieden, dass der Erlass der begehrten Anordnung auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) dann nicht mit der Begründung versagt werden kann, es liege kein Anordnungsgrund vor, wenn der Anordnungsanspruch nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung nicht zweifelhaft ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 23.01.2006 - L 20 B 15/05 AY ER - und 15.03.2006 - L 20 B 8/06 AY ER). Zur Begründung ist auf den aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7387, Seite 112) zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zu verweisen, dass die Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes bzw. des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) und damit die Gewährung deutlich höherer Leistungen nach Erhalt von Leistungen gemäß § 3 AsylbLG über 36 Monate der Regelfall sein soll (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.11.2005 - L 7 AY 4413/05 ER-B: "Die Antragsteller haben nunmehr über drei Jahre nur Sachleistungen nach § 3 AyslbLG und einen geringfügigen Bar-Betrag erhalten. Es liegt auf der Hand, dass in dieser Zeit auch bei Anlegung sozialhilferechtlicher Maßstäbe ein Nachholbedarf entstanden ist. Es ist ihnen nicht zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und weiter auf ein Existenzminimum unter dem Niveau des § 1 S. 1 SGB XII verwiesen zu werden.").

Der Senat hält daran fest, dass es den Leistungsberechtigten lediglich im Einzelfall zumutbar erscheint, z. B. bei erheblichen, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klärenden Zweifeln am Bestehen des Anordnungsanspruches, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit (niedrigeren) Leistungen nach § 3 AsylbLG wirtschaften zu müssen (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 21.12.2005 - L 20 (9) B 37/05 SO ER).

Nach der gebotenen summarischen Prüfung spricht derzeit deutlich ...

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