Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer gem § 2 Abs 1 AsylbLG idF vom 30.07.2004. rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer. Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise. Verfassungsmäßigkeit. befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 S 1 AufenthG 2004

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer iS von § 2 Abs 1 AsylbLG setzt ein subjektiv vorwerfbares, für die Verlängerung des Aufenthalts in der Bundesrepublik kausales Verhalten voraus, das im streitgegenständlichen Zeitraum kausal fortwirken muss, um leistungseinschränkend zu sein.

2. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 S 1 GG) kann die Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise iS von § 25 Abs 5 S 1 AufenthG 2004 begründen und deshalb die Rechtsmissbräuchlichkeit iS von § 2 Abs 1 AsylbLG ausschließen.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer ist die gesamte Dauer des Aufenthalts des Ausländers in der Bundesrepublik zu berücksichtigen (vgl LSG Celle-Bremen vom 20.12.2005 - L 7 AY 40/05).

2. Bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG idF vom 30.07.2004 ist zu beachten, dass allein der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 S 1 AufenthG 2004 iVm § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG idF vom 14.3.2005 noch nicht für eine Leistungsprivilegierung genügt.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 15. Februar 2006 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab 13. Januar 2006 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig - und unter dem Vorbehalt der Rückforderung - Leistungen gemäß § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) unter Anrechnung bereits gemäß § 3 AsylbLG gezahlter Beträge zu gewähren.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin E. aus F. für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren bewilligt.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die Antragsteller und Eheleute zu 1.) und 2.) sind nach eigenen Angaben im Jahre 1972 in Aserbaidschan geboren. Der Antragsteller zu 3.) ist das Kind der Eheleute. Er wurde im Jahre 1998 in F. geboren. Die Antragsteller zu 1.) und 2.) sind im Jahre 1998 in der Bundesrepublik eingetroffen. Seit 19. Oktober 1998 beziehen sie Leistungen nach §§ 3 - 7 AsylbLG. Der Asylantrag der Antragsteller zu 1.) und 2.) wurde im Dezember 1998 abgelehnt. Das Verwaltungsgericht F. hat diese Entscheidung mit Urteil vom 8. Mai 1992 bestätigt. Seitdem wird der Aufenthalt der Antragsteller fortlaufend geduldet (§ 60a Abs 2 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -). Seit 8. Juni 2006 ist der Antragsteller zu 1.) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs 5 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis wurde erteilt, da mit Rücksicht auf den gesundheitlichen Zustand des Antragstellers zu 1.) eine Reise- und Transportunfähigkeit vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis war zunächst für ein Jahr befristet. Sie wurde am 31. Mai 2007 verlängert, da auf absehbare Zeit eine Abschiebung oder freiwillige Ausreise mit Rücksicht auf die Transportunfähigkeit und eine hinzugetretene Suizidgefahr nicht möglich ist.

Gegen den Leistungsbescheid vom 4. Januar 2005 über die Änderung von laufenden Leistungen nach § 3 AsylbLG haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass ihnen erhöhte Leistungen nach § 2 AsylbLG zustünden. Nach Ermittlungen bei der Ausländerstelle der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Rechtsmissbräuchlichkeit iS von § 2 AsylbLG und nach Einholen einer amtsärztlichen Auskunft über den Gesundheitszustand und die Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1.) erging der Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2005. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass entsprechend den Auskünften der Ausländerstelle vom August, September und November 2005 die Antragsteller die Umstände zu vertreten hätten, aus denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen bisher nicht möglich gewesen seien. Sie hätten somit die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien wegen fehlender Heimreisedokumente nicht möglich. Die Antragsteller zu 1.) und 2.) hätten im Jahre 1998 vor der Anhörung im Asylverfahren und nur einige Tage später in der Anhörung zum Asylverfahren widersprüchliche Angaben gemacht, die allein dem Zweck dienten, die Abschiebung nach Aserbaidschan zu verhindern. Die Antragsteller hätten im Jahre 1998 angegeben, dass ihnen in G. (Aserbaidschan) Reisepässe mit dem Zweck “Tourist„ ausgestellt worden seien. Wenige Tage später hätten sie angegeben, bereits im Jahre 1992 aus Aserbaidschan in die russische Föderation ausgereist zu sein. Die Dokumente seien Anfang der 90er Jahre bei einem Überfall von A...

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