Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Rückausnahme. Leistungsanspruch bei mindestens fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nichterforderlichkeit einer ununterbrochenen Meldung. Anforderungen an den Nachweis des fünfjährigen Aufenthalts

 

Orientierungssatz

1. § 7 Abs 1 S 4 und 5 SGB 2 setzt keine fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Anmeldung während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraus.

2. § 7 Abs 1 S 5 SGB 2 regelt das Anmeldeerfordernis eindeutig allein im Zusammenhang mit dem Beginn des Laufes der Frist, während § 7 Abs 1 S 4 SGB 2 im Kontrast dazu für den Fristablauf gerade nicht an das Anmeldeerfordernis, sondern allein an den gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet anknüpft.

3. Der Gesetzgeber geht ausdrücklich davon aus, dass sich der mindestens fünfjährige Aufenthalt durch freie Beweismittel und geeignete Nachweise belegen lässt.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.10.2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren dem Grunde nach.

Der Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes H aus Düsseldorf wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Streitgegenstand ist die vorläufige Gewährung von Regelbedarfsleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes.

Die am 00.00.1976 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige und lebt aktuell in einer Notunterkunft der Diakonie. Sie ist u.a. alkoholkrank und steht seit Juli 2021 unter gesetzlicher Betreuung. Von Mitte Juni bis zum 08.07.2021 befand sich die Antragstellerin in stationärer Behandlung.

Die Antragstellerin war nach ihrer erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Deutschland) im Jahr 1997 bis zum 23.04.2013 mit kleineren Unterbrechungen in Düsseldorf gemeldet. Ausweislich einer Meldebescheinigung erfolgte im Jahr 2013 eine Abmeldung ins Ausland und zum Dezember 2018 ein Zuzug aus Polen. Eine von der Ausländerbehörde der Stadt Düsseldorf im Januar 2020 ausgestellte Aufenthaltsbescheinigung weist aus, dass bei ununterbrochener Meldung in Düsseldorf seit Dezember 2018 noch kein Daueraufenthaltsrecht bestehe.

Am 16.02.2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, den der Antragsgegner mit dem Verweis auf die fehlende Feststellung eines Daueraufenthaltsrechtes durch die Ausländerbehörde ablehnte. Insbesondere scheide eine Leistungsgewährung aufgrund der Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II aus (Bescheid vom 14.04.2021; Widerspruchsbescheid vom 09.07.2021). Hiergegen hat die Antragstellerin eine beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf rechtshängige Klage erhoben.

Einen weiteren Leistungsantrag der Antragstellerin vom 01.07.2021 suchte der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.07.2021 abzulehnen. Die Antragstellerin bestreitet den Zugang.

Am 05.08.2021 hat die Antragstellerin beim SG Düsseldorf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und verschiedene Unterlagen vorgelegt, um ihren Vortrag glaubhaft zu machen, sie lebe seit 1997 ununterbrochen in Deutschland. Die Abmeldung beim Einwohnermeldeamt nach Polen sei fälschlicherweise erfolgt, möglicherweise aufgrund von sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten. Tatsächlich habe sich die Antragstellerin im Jahr 2013 lediglich aufgrund eines Umzuges innerhalb des Stadtgebietes Düsseldorf ummelden wollen. Eine entsprechende Ummeldung sei Auslöser für die Erfassung einer Rückkehr aus Polen zum Dezember 2018 gewesen. Ihren Lebensunterhalt habe sie bis in das Jahr 2020 mit Hilfe ihrer jeweiligen Lebensgefährten sichergestellt. Sie habe keinerlei Vermögen oder Einkommen und verfüge über keinen Krankenversicherungsschutz, obwohl sie dringend ärztlicher Behandlung bedürfe.

Die Antragstellerin hat beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihr ab Eingang des Antrages bei Gericht vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II i.H.v. 446 EUR monatlich zu gewähren.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, er sei an die Feststellung der Ausländerbehörde, dass kein Daueraufenthaltsrecht bestehe, gebunden. Ohnehin spreche gegen einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland der Umstand einer fehlenden Bankverbindung der Antragstellerin.

Der Antragsgegner hat beabsichtigt, einen Versagungsbescheid vom 14.09.2021 zu erlassen, dessen Zugang die Antragstellerin bestreitet. Deren erneuter Leistungsantrag vom 17.09.2021 ist noch nicht beschieden.

Mit Beschluss vom 18.10.2021 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen für den Regelbedarf n...

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