Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussicht. Arbeitslosengeld II. Verfassungswidrigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe

 

Orientierungssatz

Die hinreichenden Erfolgsaussichten einer Klage wegen Verfassungswidrigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe nach §§ 19 ff SGB 2 iVm RBEG liegen vor, sodass Prozesskostenhilfe zu gewähren ist.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 26.09.2011 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I, L beigeordnet.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt, vorverlagert werden. Letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung müssen nicht ausgeschlossen sein, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel weder möglich noch notwendig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7, 7a, 7b). Es reicht für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R). Diese ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (Hdb SGG - Udsching, VI Rn. 60; Leitherer, a.a.O., Rn. 7).

Die Klage vom 01.07.2011, die sich gegen die Bescheide vom 16.08.2010, 08.03.2011 und 25.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2011 richtet, hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Eine Erfolgsaussicht in diesem Sinne ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Klärung der Verfassungskonformität der Neuregelung des Regelbedarfs nicht die Verurteilung des Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren, genau bezifferten Regelbedarfs bedingt (so LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1928/11 B). Dies ergibt sich auch mittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG], Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Denn das BVerfG bestimmt genau in dieser Konstellation, dass "die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften und ihrer Nachfolgeregelungen bei Kostenentscheidungen zugunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen seien, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 219). Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist somit davon abhängig, ob eine gute Möglichkeit des Obsiegens in Bezug auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit besteht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2011 - L 7 AY 3538/11 B; Düring in Jansen, SGG, § 73a Rn. 12).

Diese gute Möglichkeit des Obsiegens ist unter Berücksichtigung des Vortrages der Kläger, die Ermittlung des Regelbedarfs entspreche nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben habe, für den streitigen Zeitraum von Anfang Januar 2011 bis Ende September 2011 zu bejahen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG SGB II, SGB XII ÄndG) die vom BVerfG aufgezeigten Anforderungen erfüllt (BVerfG, a.a.O., Rn. 139 ff.).

Ausgehend vom dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) obliegt es dem Gesetzgeber, dem das BVerfG insoweit einen Gestaltungsspielraum mit eingeschränkter Überprüfbarkeit zubilligt, das physische und soziokulturelle Existenzminimum zu ermitteln und dem Leistungsberechtigten zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 138). Dabei hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 klargestellt, dass der Gesetzgeber durch die Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II das Ziel, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, dem Grunde nach zutreffend definiert hat und es sich auch nicht feststellen lässt, dass der Gesamtbetrag der festgesetzten Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums evident unzureichend ist. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber attesti...

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