Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht einer Klage zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Orientierungssatz
1. Prozesskostenhilfe ist nach § 73a SGG zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
2. Die fehlerhafte Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheides kann vom Kläger noch während des gerichtlichen Verfahrens gerügt werden.
3. Sind mangels eines wirksam bekanntgegebenen Widerspruchs die Sachurteilsvoraussetzungen aktuell nicht erfüllt, so führt dies nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig. Vielmehr ist der Erlass des Widerspruchsbescheides abzuwarten. Dies schließt die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht nicht aus.
4. Erscheint es in einem Schwerbehindertenverfahren nicht ausgeschlossen, dass weitere gerichtliche Ermittlungen zu dem vom Kläger geltend gemachten GdB von 50 führen, so ist eine hinreichende Erfolgsaussicht zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu bejahen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 01.03.2019 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund für die Zeit ab 15.01.2018 (= Eingang der vollständigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat für die Zeit ab 15.01.2018 Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vor dem Sozialgericht Dortmund geführte Klageverfahren.
Nach § 73a SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung ausgeht. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der der Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rn 7a ff.).
1. Die hinreichende Erfolgsaussicht der am 04.12.2017 bei dem SG Dortmund erhobenen Klage kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass diese nicht fristgerecht erhoben und damit unzulässig sei.
a) Die Klägerin hat unwidersprochen geltend gemacht, erstmalig und ausschließlich durch das Fax der Beklagten vom 26.09.2017 Kenntnis von dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 19.09.2017 erhalten zu haben. Unter Zugrundelegung der in § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Klagefrist wäre die Klage verspätet erhoben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Klägerin lediglich ein "Entwurf" des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2017 übermittelt wurde, wobei die Bekanntgabe nicht durch die Widerspruchsbehörde, sondern durch die Beklagte vorgenommen wurde und zudem nicht bekannt ist, ob die Bekanntgabe durch die Beklagte mit Wissen und Wollen der Widerspruchsbehörde erfolgt ist (vgl. Littmann, in: Hauck/Noftz, § 37 SGB X Rn. 8 m.w.N. aus der Rspr.).
Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine fehlerhafte Bekanntgabe durch rügelose Klageerhebung geheilt werden kann (vgl. Senat, Urteil v. 31.08.2018 - L 13 SB 276/17; OVG NRW, Beschluss v. 26.10.1994 - 22 B 997/94; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 84 Rn. 4a m.w.N.), hat die Klägerin immer noch die Möglichkeit, die hier vorgenommene fehlerhafte Bekanntgabe während des erstinstanzlichen Verfahrens zu rügen. Ein gewisses Unbehagen im Hinblick auf Bekanntgabe und Form des Widerspruchsbescheides hat sie bereits in der Klageschrift vom 29.11.2017 zum Ausdruck gebracht, indem sie auf "einen als Entwurf überschriebenen Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 19.09.2017" abgestellt hat.
b) Geht man davon aus, dass mangels wirksam bekanntgegebenen Widerspruchsbescheides die Sachurteilsvoraussetzungen aktuell nicht erfüllt sind, führt dies nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig. Vielmehr ist in Konstellationen der vorliegenden Art der Erlass des Widerspruchsbescheides abzuwarten (vgl. nur Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 78 Rn 3a m.w.N.) und die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht nicht schlechterdings ausgeschlossen (vgl. aber LSG NRW, Beschluss v. 24.07.2015 - L 20 AY 37/15 B zu einem Sachverhalt, dessen Gegenstand nicht Form- und Bekanntgabemängel eines Widerspruchsbescheides war).
c) Keine Bedenken hat der Senat im Hinblick auf die von der Klägerin beanstandete Rechtsmittelbelehrung in dem Widerspruchsbescheid vom 19.09.2017 (bzw. in dessen Entwurf). Insoweit nimmt der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des SG Dortmund ...