Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Berufung bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache bzw. bei Divergenz

 

Orientierungssatz

1. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt eine bisher ungeklärte Rechtsfrage voraus, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt.

2. Wird mit einer Klage die Gewährung höherer Leistungen des SGB 2 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung begehrt, so begründet der Umstand, dass auch andere Menschen unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden, keine grundsätzliche Bedeutung. Das konkrete Krankheitsbild und der konkret daraus resultierende Mehrbedarf bleibt eine auf den Einzelfall bezogene Fragestellung.

3. Eine Divergenz i. S. des Zulassungsgrundes nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt erst dann vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung den Kriterien der obersten Gerichte widerspricht, wenn das Gericht also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat, vgl. BSG, Beschluss vom 19. Juli 2012 - B 1 KR 65/11 B.

4. Die Zulassung eines Rechtsmittels wegen Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht i. S. von § 103 SGG setzt voraus, dass das Sozialgericht sich unabhängig von der Stellung eines hierauf bezogenen Beweisantrags zu weiteren Ermittlungen aus seiner rechtlichen Sicht hätte gedrängt fühlen müssen.

5. Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz bei der Ermittlung der medizinischen Hintergründe für ernährungsbedingten Mehrbedarf liegt erst vor, wenn das Tatsachengericht von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben, keinen ausreichenden Gebrauch gemacht hat, insbesondere keine Auskünfte der behandelnden Ärzte oder ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt hat, vgl. BSG, Urteil vom 22. November 2011 - B 4 AS 138/10.

6. Eine fehlerhafte und mit falschem Ergebnis erfolgte Auswertung vorhandener Beweismittel ist kein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG führen könnte.

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts vom 26.04.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Klägerin erstrebt die Zulassung ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts, mit dem ihre Klage auf Gewährung einer höheren Regelleistung unter Berücksichtigung eines höheren Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit vom 01.05.2009 - 31.03.2010 abgewiesen worden ist.

Die am 00.00.2005 geborene Klägerin bezog (u.a.) im o.a. Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter Leistungen nach dem SGB II. Bis zum 30.04.2009 berücksichtigte der Beklagte bei der Klägerin wegen einer Neurodermitis einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung iHv zuletzt 25,56 EUR monatlich.

Am 18.03.2009 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung der Leistungen einschließlich eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Diesen begründete die Klägerin mit der Neurodermitis sowie einer Allergie gegen Hühnerei, Kuhmilch und Nüsse.

Mit Bescheiden vom 17.04.2009 und 24.04.2009 sowie Änderungsbescheiden vom 14.05.2009 und 06.06.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 01.05.2009 - 31.10.2009. Hinsichtlich des Antrags auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung führte der Beklagte zunächst aus, wegen der Neurodermitis sei die Bewilligung eines Mehrbedarfs nicht mehr möglich, wegen der Allergie müsse der Eingang medizinischer Unterlagen abgewartet werden. Der Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und holte eine "gutachterliche Äußerung" ihres ärztlichen Dienstes vom 06.08.2009 ein.

Mit Bescheid vom 13.08.2009 lehnte der Beklagte die Bewilligung ernährungsbedingten Mehrbedarfs ab, da nach medizinischen Erkenntnissen nicht von einem "erhöhten Ernährungsbedarf" auszugehen sei.

Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin näher dar, welche überdurchschnittlich teuren Produkte sie für eine erkrankungsadäquate Ernährung benötige.

Mit Bescheiden vom 28.09.2009, 01.02.2010, 18.03.2010 und 30.03.2010 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Klägerin und ihre Mutter für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis zum 30.04.2010. Mit Bescheid vom 28.04.2010 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Klägerin für die Zeit ab 01.04.2010 auf, da die Klägerin einen Anspruch auf Wohngeld habe und deswegen "aus der Bedarfsgemeinschaft herausgenommen" werde.

Mit Bescheid vom 19.04.2010 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.08.2010 zurück. Weder wegen der Neurodermitis noch wegen der Lebensmittelallergien sei ein ernährungsbedingter Mehrbedarf feststellbar.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 29.04.2010 erhobene Klage. Im Klageverfahren hat der Beklagte eine weitere "gutachterliche Äußerung" des ärztlichen Dienstes eingeholt. Dieser hat nunmehr die Notwendigkeit eines Mehrbedarfs für eine kostenauf...

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