Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Abgrenzung von Einkommen und Vermögen. Anrechnung von nicht bewilligten Renteneinkünften als Einnahmen
Orientierungssatz
1. Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII ist alles, was jemand in dem Bedarfszeitraum wertmäßig dazu erhält, während Vermögen im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII das ist, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Für die Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, soweit nicht normativ ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (modifizierte Zuflusstheorie).
2. Nicht realisierte Ansprüche stellen kein Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII dar, weil dem Anspruchsinhaber kein Geld oder Geldwert tatsächlich zufließt und ihm deshalb keine bereiten Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen. Für die Annahme eines normativen Zuflusses einer fiktiven Einnahme aus einem nicht realisierten Anspruch fehlt es an einer Rechtsgrundlage im SGB XII.
3. Bei § 2 Abs. 1 SGB XII handelt es sich nicht um eine isolierte Ausschlussnorm.
Tenor
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S aus C beigeordnet.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.10.2012 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verurteilt, der Antragstellerin ab dem 01.09.2012 bis zur Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache, längstens bis zum 30.06.2013, vorläufig Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch zu zahlen, und zwar bis zum 31.12.2012 in Höhe von monatlich 482,97 Euro und ab dem 01.01.2013 in Höhe von monatlich 491,16 Euro.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Gründe
I. Der Antragstellerin ist für die am 02.11.2012 eingegangene Beschwerde gegen den am 26.10.2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 18.10.2012 nach Maßgabe von § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und gemäß § 121 Abs. 2 ZPO ihr Prozessbevollmächtigter als Rechtsanwalt beizuordnen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen bei der Antragstellerin, die aktuell nur über Einkommen in Gestalt der Witwenrente der Deutschen Rentenversicherung Rheinland in Höhe von monatlich 346,83 Euro verfügt, vor. Die Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt. Die Anwaltsbeiordnung ist wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat den sinngemäßen Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihr ab dem 01.09.2012 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu zahlen, zu Unrecht abgelehnt, denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und - entgegen der Auffassung des SG - auch begründet.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
a) Der gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG vorrangige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist allein ebenso wenig statthaft wie ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung in analoger Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG, denn die Antragstellerin begehrt die Gewährung bislang noch nicht bewilligter Leistungen und damit eine Erweiterung ihres Rechtskreises, die sie allein mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erreichen kann. Der Rechtsbehelf nach § 86b Abs. 1 SGG könnte ihrem Begehren demgegenüber von vornherein nicht vollständig Rechnung tragen.
Es bedarf im Hinblick auf den Versagungs- und Entziehungsbescheid vom 12.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2012 auch nicht eines zusätzlichen Antrags nach § 86b Abs. 1 SGG (vgl. insoweit Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 29b m.w.N.). Der Klage vom 20.08.2012 gegen diese Bescheide kommt von sich aus gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung zu, da kein Fall des § 86a Abs. 2 SGG vorliegt. Eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 20.08.2012 in analoger Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG in Ergänzung zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.04.2010 - L 7 AS 304/10 ER-B -, juris Rn. 4 m.w.N.) ist ebenfalls nicht notwendig. Die Antragsgegnerin hat die aufschiebende Wirkung beachtet, indem sie trotz des Bescheids vom 12.04.2012 die ursprünglich mit Bescheid vom 21.09.2011 bewilligten Lei...