Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung bei tatsächlicher Unterhaltsgewährung durch Letzteren bzw. zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte

 

Orientierungssatz

1. Die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 erfordert eine fiktive Prüfung, dass kein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches zum Zweck der Arbeitsuche vorhanden ist.

2. Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 FreizügG genannten Unionsbürger haben nach § 2 Abs. 1 FreizügG ein Aufenthaltsrecht, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Dazu gehören nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG auch die Verwandten in gerader auf- und absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 und 7 FreizügG genannten Personen, denen diese Personen Unterhalt gewähren. Eine Unterhaltsgewährung von monatlich 100.- €. ist ausreichend, ohne dass es eines bestehenden Unterhaltsanspruchs bedarf.

3. Darüber hinaus kann nach § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG Familienangehörigen zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Hierzu zählt u. a. das Vorliegen einer schweren Erkrankung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.10.2017 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 18.09.2017 bis zum 28.02.2018, längstens jedoch bis zur Rechtskraft in der Hauptsache, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe der Regelleistungen unter Anrechnung einer Unterhaltsleistung in Höhe von 100,- Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Instanzen.

 

Gründe

I.

Die Eltern und die jüngere Schwester der Antragstellerin sind nach eigenen Angaben am 04.07.2015 aus Polen nach Deutschland eingereist. Sie bewohnten in N zunächst eine knapp 50 qm große Dreizimmerwohnung und leben seit dem 01.03.2016 in einer 82 qm großen Vierzimmerwohnung. Die Kosten der Unterkunft und Heizung für diese Wohnung liegen bei monatlich 535,- Euro. Die am 00.00.1994 geborene Antragstellerin ist am 30.10.2015 zu der Familie nachgezogen. Sie besitzt - wie ihre Eltern und die jüngere Schwester - die polnische Staatsangehörigkeit.

Der Vater der Antragstellerin war vom 17.07.2015 bis zum 16.07.2017 in einem Logistikunternehmen versicherungspflichtig beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen lag zuletzt bei ca. 1800,- Euro. Für die jüngere Schwester wird Kindergeld gezahlt. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Kindergeld wurde abgelehnt.

Der Antragsgegner gewährte den Eltern und der jüngeren Schwester der Antragstellerin aufgrund eines am 11.11.2015 bzw. 31.03.2016 gestellten Antrags von November 2015 bis Oktober 2016 ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für die Antragstellerin wurden keine Leistungen bewilligt. Ihr Anteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung, den der Antragsgegner bei der Berechnung der Bedarfe der übrigen Familienmitglieder zu ¼ in Abzug gebracht hat, sowie die Kosten für ihren sonstigen Lebensunterhalt wurden durch die Eltern gedeckt. Ab September 2016 wurde für die jüngere Schwester der Antragstellerin ein Kindergeldzuschlag in Höhe von 160,- Euro, ab Januar 2017 in Höhe von 170,- Euro, gewährt. Von Oktober 2016 bis Juli 2017 erhielt die Familie außerdem Wohngeld in Höhe von monatlich 321,- Euro. Seit dem 17.07.2017 bezieht der Vater der Antragstellerin Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich 839,10 Euro.

Am 31.07.2017 stellte N L, die Mutter der Antragstellerin, für die Familie erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Auch für die Antragstellerin wurde ein Antrag gestellt. Mit Bescheid vom 08.08.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 23.08.2017 bewilligte der Antragsgegner den Eltern und der jüngeren Schwester der Antragstellerin ab dem 01.07.2017 vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 0,00 Euro für Juli, 147,62 Euro für August und 518,82 Euro für die Monate September bis Dezember 2017. Bei der Berechnung der Leistungen wurden die zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung erneut um ¼ reduziert und als fiktiver Anteil der Antragstellerin zugeordnet. Mit Bescheid vom 24.08.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin ab. Diese verfüge nicht über die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Die Mutter der Antragstellerin legte gegen diesen, an sie adressierten Bescheid am 15.09.2017 Widerspruch ein.

Bereits mit Schreiben vom 13.09.2017, eingegangen am 18.09.2017, hat die Mutter der Antragstellerin außerdem beim Sozialgericht Düsseldorf einen Eilantrag gestellt. Sie hat begehrt, ihrer Tochter L Leistungen nach dem SGB II einschließlich des Mitgliedsbeitrages für eine freiwillige Krankenversicherung zu gewähren. Als Familienangehörige ein...

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