Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Vorläufige Leistungsgewährung wegen Überprüfung eines gesetzlichen Leistungsausschlusses im Rahmen eines Vorlageverfahrens. Anspruch auf vorläufige Leistungsgewährung bei vorhergehender Ablehnung von Grundsicherungsleistungen. Anforderungen an die Annahme eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtschutzverfahren über die vorläufige Übernahme von Unterkunftskosten

 

Orientierungssatz

1. Ist die Klärung der Vereinbarkeit einer für die Beurteilung eines Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen entscheidungserheblichen Vorschrift mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften(hier: Leistungsausschluss für Ausländer), so steht allein die Ablehnung eines Antrags auf Grundsicherungsleistungen durch einen Grundsicherungsträger, soweit sie noch nicht bestandskräftig ist, der Geltendmachung eines Anspruchs auf vorläufige Leistungen gemäß § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 3 nicht entgegen (entgegen: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20. März 2014, L 29 AS 514/14).

2. Während der Dauer eines Vorlageverfahrens zum Bundesverfassungsgericht bzw. zum Europäischen Gerichtshof über die Gültigkeit einer Vorschrift, mit der Grundsicherungsleistungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, haben die vom Leistungsausschluss Betroffenen im Regelfall einen Anspruch auf vorläufige Leistungsgewährung, soweit sie hilfebedürftig sind. Insoweit ist das Ermessen des Grundsicherungsträgers regelmäßig auf Null reduziert.

3. Einzelfall zur Annahme eines Anordnungsgrundes bei der Geltendmachung von Unterkunftskosten im Rahmen der vorläufigen Leistungserbringung (hier: bei bestehender Obdachlosigkeit bejaht).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.12.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Gestalt der Regelleistung in Höhe von 260,66 Euro für die Zeit vom 12.12.2014 bis zum 31.12.2014, in Höhe von monatlich 399,00 Euro für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.05.2015 und in Gestalt der nachgewiesenen angemessenen Kosten der Unterkunft bis zum 31.05.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu zahlen.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt T, X, beigeordnet.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der im Jahr 1976 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsbürger. Er lebt seit September 2007 in der Bundesrepublik Deutschland; streitig zwischen den Beteiligten sind etwaige Unterbrechungen und die Gesamtdauer. In der Zeit vom 26.03.2010 bis zum 14.06.2010 hatte der Antragsteller eine selbständige Tätigkeit im Bauhilfsbereich angemeldet. Eine erneute Anmeldung der selbständigen Tätigkeit "Trockenbau, Abbrucharbeiten, Stemmen und Schlitzen" erfolgte am 08.01.2011. Nach Angaben des Antragstellers wird diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen (Folgen eines Herzinfarkts im Januar 2014) nicht mehr ausgeübt. In der Zeit vom 11.04.2014 bis zum 04.11.2014 war der Antragsteller inhaftiert. Mit Urteil des Landgerichts X wurde der Antragsteller zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Als Bewährungsauflage ist der Antragsteller verpflichtet worden, einen festen Aufenthalt zu wählen und diesen dem Landgericht X mitzuteilen. Zudem hat er gemeinnützige Arbeiten für die Dauer von 150 Arbeitsstunden zu erbringen.

Am 11.11.2014 beantragte der Antragsteller unter Vorlage einer sog Erreichbarkeitsbescheinigung der Diakonie X Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 13. und 18.11.2014 forderte ihn der Antragsgegner auf, eine Liste der Aufenthaltszeiten in Deutschland und Bulgarien der letzten fünf Jahre vorzulegen. Der Antragsteller legte eine Auskunft des Einwohnermeldeamtes sowie ein Mietangebot vom 12.11.2014 für eine 27,62 qm große Wohnung (Kaltmiete 150 Euro, Betriebskosten 80 Euro) vor.

Durch Bescheid vom 19.11.2014, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab. Ausweislich der Meldedaten des Einwohnermeldeamtes lasse sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers nicht aus einem bestehenden Daueraufenthaltsrecht ableiten. Er habe sich nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Da die Freizügigkeitsberechtigung nur noch zum Zwecke der Arbeitssuche bestehe, sei der Antragsteller gem. § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Die hiergegen am 19.01.2015 erhobene Klage ist noch anhängig.

Am 12.12.2014...

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