Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Frage der Statthaftigkeit einer Klage auf Feststellung der Unzulässigkeit von Observationsmaßnahmen durch den Grundsicherungsträger nach Beendigung des Leistungsbezugs. Zulässigkeit zielgerechter und punktgenauer Überwachungsmaßnahmen. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Bezieht sich eine Feststellungsklage auf ein vergangenes Rechtsverhältnis, so kann sich das dafür nach § 131 Abs 1 S 3 SGG erforderliche Feststellungsinteresse aus einer Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitationsinteresse oder daraus ergeben, dass mit der Feststellungsklage eine sozialrechtliche Vorfrage entschieden werden soll, die für ein künftiges Verfahren vor einem ordentlichen Gericht bedeutsam ist.
2. Für die Durchführung von Observationen und die Erhebung entsprechender Ermittlungsergebnisse zur Vermeidung eines Leistungsmissbrauchs gibt es im Recht der Grundsicherung nach dem SGB 2 keine Rechtsgrundlage. Jedoch ist die Überprüfung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm, die zum Anspruch auf Sozialleistungen und damit auf Mittel führt, welche die Allgemeinheit aufbringt, zulässig, wenn der Eingriff von der Reichweite und der Intensität her in einem ausgewogenen Verhältnis steht zu dem im überwiegenden öffentlichen Interesse liegenden Gebot, Sozialleistungsmissbrauch vorzubeugen und ggf zu unterbinden.
3. Nach der Rechtsprechung der Obergerichte müssen Eingriffe in Grundrechte ohne ausdrückliche spezielle Befugnisnorm für eine Übergangszeit in besonders gelagerten Einzelfällen hingenommen werden. Lediglich planmäßig angelegte längerfristige Observationen sind nach § 163f Abs 1 S 1 StPO zu beurteilen.
4. Von größter Bedeutung sind insoweit Reichweite und Intensität des mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs. Eine örtlich und auch zeitlich eng eingegrenzte Beobachtung ohne gezielte Personenobservation und ohne gezieltes Ausspionieren der Privatsphäre ist vom Leistungsempfänger hinzunehmen.
5. Im Übrigen fehlt es dann an einer für eine Feststellungsklage erforderlichen Präjudiziabilität, wenn der Kläger zum Zeitpunkt der erhobenen Klage aus dem Leistungsbezug bereits ausgeschieden ist. Gegenüber einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage ist die Feststellungsklage subsidiär.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 07.01.2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Im zu Grunde liegenden Verfahren hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg des Verfahrens versagt. Die Klägerin begehrt in dem genannten Verfahren die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, sie und ihr persönliches Umfeld zu observieren.
Bis Mai 2012 stand die Klägerin in Bezug von Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bildete mit ihrer Tochter eine Bedarfsgemeinschaft (BG). Der Beklagte leitete während des Leistungsbezugs durch seinen Außendienst Ermittlungen zu der Frage ein, ob die Klägerin auch mit Herrn (D) eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Im Zuge dieser Ermittlungen fand an drei Tagen (08.06.2011; 18.06.2011 und 08.08.2011) eine Observation des Hauseinganges der Klägerin statt. Ferner wurden der Briefkastendeckel und die Klingelleiste kontrolliert, welche Namen dort ausgewiesen würden. Die Klägerin erhielt hiervon anlässlich eines anderweitigen sozialgerichtlichen Rechtsstreits Kenntnis. Am 03.01.2012 hat sie Klage erhoben, mit dem Ziel, festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, sie und ihr persönliches Umfeld zu observieren. Das Sozialgericht hat die Erfolgsaussichten des Verfahrens verneint und dem zu Folge die Bewilligung von PKH abgelehnt. Die erhobene Feststellungsklage sei bereits unzulässig. Beziehe sich eine Feststellungsklage, wie vorliegend, auf ein vergangenes Rechtsverhältnis, könne sich das Feststellungsinteresse zu den nach § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entwickelnden Grundsätzen aus einer Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitationsinteresse oder daraus ergeben, dass mit der Feststellungsklage eine sozialrechtliche Vorfrage entschieden werden solle, die für ein künftiges Verfahren vor einem ordentlichen Gericht bedeutsam sei.
Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Wiederholungsgefahr bestehe schon deshalb nicht, weil die Klägerin seit Mai 2012 nicht mehr im Leistungsbezug stehe und damit die Frage, ob die Klägerin mit Herrn D. eine WG bilde, nicht mehr von Relevanz sei. Die Klägerin könne sich aber auch im Hinblick auf ihr Persönlichkeitsrecht auf Artikel 2 Abs. 1 GG nicht mit Erfolg auf ein Rehabilitationsinteresse berufen. Die Tatsachen, aus denen sich das Rehabilitationsinteresse ergebe, müssten vorgetragen werden. Es sei von der Klägerin aber bereits weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich, dass die von ihr gerügten Observationen durch die Mitarbeiter des Außendienst...