Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers nach Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe nach Kenntniserlangung des Trägers vom Bedarf

 

Orientierungssatz

1. Kann einer Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht von vorneherein abgesprochen werden, so ist dem Antragsteller bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen PKH zu gewähren.

2. Kosten für einen Treppenlift kommen im Rahmen von § 54 Abs. 1 SGB 12 i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 5 SGB 9 als Leistung der Eingliederungshilfe grundsätzlich in Betracht (Anschluss: BSG, Urteil vom 20. September 2012, B 8 SO 15/11 R).

3. Im Rahmen des Sozialhilferechts gilt zwar das Gegenwärtigkeitsprinzip des § 18 Abs. 1 SGB 12. Dieses schließt grundsätzlich einen Kostenerstattungsanspruch für eine selbstbeschaffte Leistung aus. Wird aber ein Antrag auf Sozialhilfe gestellt, der den Leistungsträger ohne weitere Angaben des Antragstellers noch nicht in die Lage versetzt, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, so sind gleichwohl bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen Leistungen ab Antragstellung zu erbringen, weil der Träger durch den Antrag Kenntnis i. S. von § 18 Abs. 1 SGB 12 erlangt hat. In einem solchen Fall ist es unerheblich, wenn die Anschaffung des begehrten Hilfsmittels schon vor Erlass des Ablehnungsbescheides erfolgt ist (Anschluss: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 8 SO 18/12 R).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.08.2013 geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Bevollmächtigten bewilligt und Rechtsanwalt L, B, zu ihrer Vertretung beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht, ob der Klägerin Sozialhilfeleistungen für die Kosten eines Treppenlifts zustehen.

Die am 00.00.1925 geborene Klägerin bewohnt im Hause ihrer Tochter eine eigene Wohnung, die über zwölf Treppenstufen zu erreichen ist. Mit notariellem Auseinandersetzungsvertrag vom 20.11.1990 war das entsprechende Hausgrundstück, das zuvor hälftig der Klägerin sowie zur anderen Hälfte der Klägerin und ihrer Tochter in Erbengemeinschaft gehörte, insgesamt auf die Tochter übertragen worden; der Klägerin war dabei ein lebenslängliches unentgeltliches Altenteil an der gesamten ersten Etage eingeräumt worden. Die Tochter und deren Ehemann übernahmen in diesem Vertrag die Verpflichtung, die Klägerin bei Pflegebedürftigkeit wegen Krankheit oder Alters in jeder Weise zu pflegen und zu versorgen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag Bezug genommen.

Ausweislich eines ärztlichen Berichts des Klinikums Q vom 01.06.2012 befand sich die Klägerin vom 24. bis 28.05.2012 in der dortigen stroke unit und anschließend bis zum 05.06.2012 auf der neurologischen Allgemeinstation. Die stationäre Aufnahme sei wegen einer plötzlich aufgetretenen Halbseitenschwäche erfolgt. Klinisch neurologisch habe sich eine schlaffe Hemiparese links und eine zentrale Fazialisparese links gezeigt, bildgebend ein kleiner Mediateilinfarkt rechts. Bei Entlassung habe noch eine latente Hemiparese vorgelegen; die Klägerin habe gut am Rollator mobilisiert werden können. Die Klägerin wurde daraufhin in das Krankenhaus N in N verlegt. Ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. I vom 26.09.2012 führt u.a. aus, bei der Entlassung sei die Klägerin in der Lage gewesen, sich behinderungsentsprechend mit einem Rollator fortzubewegen. Nach Mobilisierung in den Städtischen Kliniken N habe sie mit Unterstützung zweier Personen zwölf Treppenstufen treppauf und treppab im Beistellschritt zusteigen können. Zu Hause sei sie dann allerdings gefallen und habe sich eine Fraktur des Schambeines links zugezogen. Seither könne sie nicht mehr laufen. Unter diesen Umständen sei sie nicht in der Lage, normal zu laufen, und schon gar nicht, Treppen auf- und abzusteigen.

In der Verwaltungsakte der Beklagten befindet sich eine auf den 29.06.2012 datierte, handschriftlich ausgefüllte Formblatt-Unterlage "Vertragsabschluss Treppenlifte" der Firma PractiComfort, die als Rechnungsanschrift die Klägerin nennt. Dort wird ein Treppenlift für 8.900,00 EUR inkl. Fracht und Montage benannt. Eine Kundenunterschrift findet sich darin nicht. In der Akte befindet sich ferner ein Angebot der Firma PractiComfort vom 03.07.2012 für einen Treppenlift (gebraucht) über 8.900,00 EUR. Ebenfalls in der Akte enthalten ist ein Angebot der Firma Freelift vom 22.06.2012 über einen Treppenlift zum Preise von 7.900,00 EUR. Ein Angebot des Unternehmens Der-Treppenlift GmbH vom 05.07.2012 für einen Lift inkl. Montage lautet auf 7.499,00 EUR.

Am 09.07.2012 ging bei dem Beklagten ein Antrag der Klägerin vom 06.07.2012 auf Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen in Form der Hilfen zur Wohnumfeldverbesserung durch einen Treppenlift ein. Die Klägerin führte aus, ...

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