Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB 2 i. V. m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 3 kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG oder dem EuGH ist. Für die Dauer des Vorlageverfahrens bleibt damit Raum für eine Ermessensentscheidung, ob und gfs. in welcher Höhe Leistungen gewährt werden.
2. Die Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht ist Gegenstand eines Verfahrens beim EuGH.
3. Bei dem Arbeitslosengeld 2 handelt es sich um eine Geldleistung, auf die nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 3 ein Rechtsanspruch besteht. Der Ermessensspielraum wird aufgrund des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Null reduziert; damit besteht ein Anspruch auf die vorläufige Bewilligung des Arbeitslosengeldes 2 in voller Höhe.
4. Der zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz erforderliche Anordnungsgrund ist gegeben, weil dem Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile drohen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
5. Der erforderliche Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft ist nicht erst ab Erhebung einer Räumungsklage gegeben; der drohende wesentliche Nachteil ist bereits dann gegeben, wenn der Hilfebedürftige die Wohnungsmiete seit drei Monaten nicht mehr gezahlt hat und ihm damit die ordentliche Kündigung seines Mietverhältnisses droht.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.02.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren sind.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen auch im Beschwerdeverfahren.
Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin U, L beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Die im Jahr 1987 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der beiden am 00.00.2013 geborenen Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragstellerin zu 1) hält sich nach eigenen Angaben seit September 2012 in Deutschland auf. Sie ist schwanger, der berechnete Entbindungstermin ist der 09.05.2015.
Am 10.12.2013 sprach sie beim Antragsgegner vor und gab an, seit ihrer Ankunft in Deutschland bei Verwandten zu wohnen. Sie sei schwanger und habe ihren Lebensunterhalt bislang durch das Sammeln von Flaschen bestritten. Außerdem habe sie ca. 900 EUR von der Bundesstiftung "Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" erhalten. Über weitere finanzielle Mittel verfüge sie nun nicht mehr. Nach Ablehnung des Antrags mit Bescheid vom 11.12.2013 verpflichtete das Sozialgericht Köln den Antragsgegner mit Beschluss vom 16.12.2013 zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Regelbedarfs für die Dauer von sechs Monaten.
Zum 01.01.2014 bezogen die Antragsteller eine 72 m² große Wohnung zu einem Mietzins i.H.v. 650,00 EUR inklusive Nebenkosten. Am 06.03.2014 erließ der Antragsgegner einen Bescheid, mit dem er vorläufig Leistungen in Höhe der Regelbedarfe für die Zeit vom 11.12.2013 bis zum 10.06.2014 bewilligte. Die Vorläufigkeit der Bewilligung erfolge wegen der Klärung der Leistungsberechtigung in einem etwaigen Verfahren vor dem Sozialgericht.
Am 09.05.2014 stellten die Antragsteller einen Weiterbewilligungsantrag, der mit Bescheid vom 14.05.2014 unter Berufung auf den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II abgelehnt wurde. Im anschließenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Köln erklärte der Antragsgegner, dass er die Zahlung der Regelleistung für die Antragsteller vorläufig für die Dauer von sechs Monaten ohne Anerkennung einer Rechtspflicht wieder aufgenommen habe. Das Verfahren wurde daraufhin von den Antragstellern für erledigt erklärt. Der am 26.05.2014 gegen den Bescheid vom 14.05.2014 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2015 zurückgewiesen.
Am 16.01.2015 stellten die Antragsteller einen weiteren Weiterbewilligungsantrag, der mit Bescheid vom 20.01.2015 unter Berufung auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II abgelehnt wurde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2015 zurück.
Am 03.02.2015 haben die Antragsteller erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim S...