Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für einen arbeitsuchenden Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Nach wie vor ist ungeklärt, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 für einen Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.

2. Eine abschließende Klärung dieser Rechtsfrage ist im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich.

3. Bei der hiernach im einstweiligen Rechtsschutz anzustellenden Folgenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers am jeweiligen Bezug existenzsichernder Leistungen das finanzielle Interesse des Antragsgegners, bei ungeklärter Rechtslage keine finanziellen Aufwendungen erbringen zu müssen. Dies hat zur Folge, dass dem arbeitsuchenden Unionsneubürger Leistungen des SGB 2 für einen zu begrenzenden Zeitraum durch einstweiligen Rechtsschutz zu bewilligen sind.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 16.10.2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die ihm erstinstanzlich im Wege einer einstweiligen Anordnung auferlegte Verpflichtung, der Antragsstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Die 1990 geborene Antragstellerin ist spanische Staatsangehörige. Sie verfügt über einen spanischen Hauptschulabschluss. Nach der Schule absolvierte sie ein Altenpflegeseminar (Oktober 2009 bis Februar 2010). Sie war als Reinigungskraft (von Januar bis Juli 2011) und als angelernte Altenpflegerin (von Oktober 2010 bis Dezember 2010) tätig.

Am 05.05.2014 reiste die Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland ein und wohnt bei ihrer Schwester und ihrem Schwager. Am 04.08.2014 meldete sich die Antragstellerin bei dem Antragsgegner arbeitssuchend und beantragte Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 09.09.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin mit der Begründung ab, dass ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche bestehe und die Antragstellerin damit gemäß § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 01.10.2014 Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 als unbegründet zurückwies. Die Antragstellerin erhob hiergegen Klage, S 21 AS 1265/14.

Am 09.10.2014 hat die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtschutzes zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren. Da ihre Bewerbungen bislang ohne Erfolg geblieben seien und sie über kein Einkommen oder Vermögen verfüge, sei sie auf die Unterstützung des Antragsgegners angewiesen. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei in ihrem Fall schon deshalb nicht einschlägig, weil sie nicht allein zur Arbeitssuche, sondern auch aus familiären und humanitären Gründen eingereist sei. Zudem verstoße der Leistungsausschluss gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht. Jedenfalls seien ihr vorläufig Leistungen zu gewähren.

Der Antragsgegner hält den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für rechtmäßig und geht davon aus, dass die Norm jedenfalls bis zu einer anderweitigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs anzuwenden ist. Zudem könne die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB XII beantragen.

Mit Beschluss vom 16.10.2014 hat das Sozialgericht Aachen den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 09.10.2014 bis zum 31.01.2015 Leistungen nach dem SGB II in Höhe des maßgebenden Regelbedarfes zu gewähren. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 22.10.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 17.11.2014 Beschwerde eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der seitens des Bundessozialgerichts vorgelegten Rechtssache Alimanovic müsse § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zur Anwendung kommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem glaubhaft gemachten Fehlen von Eigenmitteln. Verbleibende Zwei...

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