Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für EU-Ausländer. Anforderungen an die Annahme eines Daueraufenthaltsrechts. Anspruch auf Leistungen aus der Sozialhilfe für einen EU-Ausländer ohne materielles Aufenthaltsrecht. Ermessensreduzierung auf Null. Gewöhnlicher Aufenthalt. Schwerpunkt der Lebensverhältnisse. Wesentliche Unterbrechung
Orientierungssatz
1. Ein Daueraufenthaltsrecht eines EU-Ausländers, das einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende vermittelt, ist nach der bis zum 28.12.2016 geltenden Rechtslage auch bei einem mehr als fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur dann anzunehmen, wenn während dieses Aufenthaltes ein materielles Aufenthaltsrecht gegeben war. Dagegen genügt der tatsächliche Aufenthalt für sich genommen nicht für die Annahme eines Daueraufenthaltsrechts.
2. Jedenfalls nach der bis zum 28.12.2016 gelten Rechtslage steht einem EU-Ausländer, auch wenn er über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügte und sich nicht zur Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhielt, im Rahmen der Sozialhilfe jedenfalls ein Anspruch auf Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens bei der Prüfung eines Leistungsanspruchs zu. Insoweit ist in diesem Fall ein Leistungsanspruch nicht schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen, soweit nicht die Einreise gerade deshalb erfolgte, um Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Dauerte der Aufenthalt bereits mehr als sechs Monate an, ist das Ermessen des Sozialhilfeträgers auf Null reduziert und die Leistung zu gewähren.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 7, S. 4; SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1, § 21 Abs. 1 S. 1, §§ 19, 27 Abs. 1, § 18 Abs. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a Abs. 1 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2016 geändert. Für den Zeitraum vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 wird die Beigeladene vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin E aus X beigeordnet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Der Antragstellerin steht für den Zeitraum vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 zwar nicht gegen den Antragsgegner (1.), jedoch gegenüber der Beigeladenen (2.) ein Anspruch auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung betreffend die Erbringung von Regelleistungen zu. Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, denn die Antragstellerin hat gegen den insoweit ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts keine Beschwerde eingelegt. Für die Zeit ab dem 29.12.2016 ist die Beschwerde des Antragsgegners unbegründet (3.).
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschluss vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -; BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
1. Vorliegend hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner für die Zeit vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte greift zu ihren Ungunsten der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II i.d.F. bis zum 28.12.2016 (a.F.) ein. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin als Unionsbürgerin über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizüG/EU verfügt hat. Denn sowohl erwerbsfähige Unionsbürger, die nur über ein Aufenthaltsrec...