Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für EU-Ausländer. Voraussetzung für die Annahme eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts für einen Elternteil. Anspruch auf Leistungen aus der Sozialhilfe für einen EU-Ausländer ohne materielles Aufenthaltsrecht
Orientierungssatz
1. Ein aus der Betreuung eines minderjährigen Kindes mit einem Aufenthaltsrecht zum Zwecke des Schulbesuchs abgeleitetes Aufenthaltsrecht für einen EU-Ausländer, das einen Leistungszugang zum System der Grundsicherung für Arbeitsuchende verschaffen kann, ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn der betroffene Ausländer die elterliche Sorge über das zum Aufenthalt berechtigte Kind tatsächlich nicht ausübt.
2. Jedenfalls nach der bis zum 28.12.2016 gelten Rechtslage steht einem EU-Ausländer, auch wenn er über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügte und sich nicht zur Arbeitsuche im Bundesgebiet aufhielt, im Rahmen der Sozialhilfe jedenfalls ein Anspruch auf Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens bei der Prüfung der Zuerkennung eines Leistungsanspruchs zu. Insoweit ist in diesem Fall ein Leistungsanspruch nicht schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen, soweit nicht die Einreise gerade deshalb erfolgte, um Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Dauerte der Aufenthalt bereits mehr als sechs Monate an, ist das Ermessen des Sozialhilfeträgers auf Null reduziert und die Leistung zu gewähren.
3. Gegen den seit 29.12.2016 geltenden umfänglichen gesetzlichen Leistungsausschluss auch von EU-Ausländern ohne materielles Aufenthaltsrecht bezüglich von Leistungen der Sozialhilfe bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 26.01.2017 geändert. Die Beigeladene wird einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.12.2016 bis zum 28.12.2016 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Kosten des Antragstellers sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt N, C, beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 01.12.2016.
Der am 00.00.1969 geborene Antragsteller ist spanischer Staatsbürger. Er reiste im Oktober 2014 mit seiner Lebensgefährtin sowie den gemeinsamen Kindern, E M, geb. 00.00.2013, und K M, geb. 00.00.2006, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Anmeldung bei der Meldebehörde mit Einzugsdatum 08.10.2014 erfolgte am 11.11.2014. Der Sohn K besucht die Grundschule.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller und seiner Familie ab März 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nachdem der Antragsteller bei der P-Logistic - Internationale Möbelspedition - am 20.04.2015 einen vom 01.05.2015 bis 31.04.2016 befristeten Arbeitsvertrag als Packer/Helfer geschlossen hatte. Die regelmäßige Arbeitszeit sollte 22,5 Stunden/Woche betragen, die Vergütung war mit 9,25 Euro/Stunde vereinbart. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30.06.2015 beendet. Der Antragsteller erhielt für Mai 2015 eine Vergütung von 170,00 Euro (netto) und für Juni 2015 von 391,00 Euro (netto).
Im Oktober 2015 trennte sich der Antragsteller von seiner Lebensgefährtin und zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Seit dem 06.04.2016 ist er über die Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes C zu erreichen. Die ehemalige Lebensgefährtin des Antragstellers und die Kinder beziehen weiterhin Leistungen nach dem SGB II, nachdem die ehemalige Lebensgefährtin ab dem 01.05.2016 eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft aufgenommen hat.
Der Antragsteller erhielt zuletzt bis zum 30.11.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Regelbedarfs auf Grundlage von einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 37 AS 92/16 B ER und S 37 AS 2549/16 ER). Am 12.10.2016 beantragte er die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.12.2016. Eine Bescheidung dieses Antrags ist bislang nicht erfolgt.
Der Antragsteller hat am 01.12.2016 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Der Antragsgegner verweigere weiterhin die Bewilligung von Leistungen, weil dieser meine, dass er nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei. Dies sei unrichtig, da der Leistungsausschluss gegen höherrangiges Recht verstoße und er sich als spanischer Staatsbürger auf das Europäische Fürsorgeabkommen berufen könne. Zudem könne er sein Aufenthaltsrecht wegen des Schulbesuch seines Sohnes aus Art. 10 VO 492/11/EU ableiten.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,
den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II/Sozialgeld als Hilfe zum Lebensunterhalt (ohne KdU) ab Eilrechtsschutzantrag zu gewähren.
Das Sozialgericht Dortmund ...