Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermerk der Aufgabe eines Bescheides zur Post in der Behördenakte als Voraussetzung der Zugangsfiktion
Orientierungssatz
1. Die Zugangsfiktion nach § 37 Abs. 2 SGB 10 greift nur dann ein, wenn der Tag der Aufgabe eines Bescheides zur Post in der Verwaltungsakte der Behörde vermerkt ist. Dazu ist ein aus der Akte ersichtlicher "Abvermerk" erforderlich. Eine bloße Paraphe des maßgeblichen Sachbearbeiters genügt nicht.
2. Mit einem solchen Handzeichen kann die Behörde nicht nachweisen, wann der Verwaltungsakt zur Post gegeben wurde. Gleiches gilt für das sog. Druckprotokoll. Dieses bestätigt lediglich, dass der Bescheid dort ausgedruckt, kuvertiert und anschließend versandt worden ist. Daraus kann nicht festgestellt werden, wann der ausgedruckte Bescheid zur Post gegeben worden ist.
3. Bei nicht nachgewiesenem Zugang eines Bescheides beginnt eine Rechtsmittelfrist nicht zu laufen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.07.2011 geändert. Dem Kläger wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M aus P beigeordnet.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger ist nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Die Klage, mit der sich der Kläger gegen die Absenkung des mit Bescheid vom 15.03.2011 bewilligten Regelbedarfs für die Zeit von Mai bis Juli 2011 um 60 % (218,40 EUR) nach § 31 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1c und Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) wendet, bietet nach summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten dürfte die Klage nicht bereits deshalb unbegründet sein, weil der Sanktionsbescheid vom 28.03.2011 bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG). Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Kläger den Widerspruch außerhalb der Widerspruchsfrist eingelegt hat. Die Frist für die Einlegung des Widerspruchs nach § 84 SGG beginnt mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Erfolgt diese - wie hier - mit einfachem Brief und liegt auch kein Nachweis über den Zugang vor, so gilt der Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Verwaltungsakten des Beklagten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28.11.2006- B 2 U 33/05 R Rn. 15 juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011 Rn. 22 juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2010 Rn. 5 juris; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, 2010, § 37 RdNr 12). Dies ist vorliegend zu verneinen. In dem mit "Text aus Vorschau" bezeichneten Bescheid vom 28.03.2011 wurde der Absenkungsbetrag und das Datums geändert und er enthält eine Paraphe neben dem geänderten Datum. Ein darüber hinausgehender "Abvermerk" ist nicht vorhanden. Entgegen der Auffassung des SG kann die Paraphe der Mitarbeiterin nicht als "Abvermerk" angesehen werden. Denn dadurch wird nur dokumentiert, wer die Änderungen im Bescheid vorgenommen hat. Auch lässt sich eine Verwaltungspraxis bei dem Beklagten, dass die Aufgabe zur Post mittels Paraphe dokumentiert wird, nicht den Verwaltungsakten entnehmen. Vielmehr enthalten andere Bescheide gerade einen ausdrücklichen "Abvermerk", ergänzt um ein Handzeichen (Widerspruchsbescheid vom 04.05.2011, Bescheid vom 12.05.2011, Bl. 327 bzw. 322 Verwaltungsakte).
Wann der Verwaltungsakt zur Post gegeben wurde, kann der Beklagte nicht nachweisen. Der Beklagte konnte insoweit nur aus der Kennzeichnung "Text aus Vorschau", der Qualifizierung mit dem Status "verzögerter Druck", der weiteren Prüfung durch einen Mitarbeiter (Verfügung vom 28.03.2011) und dem Druckprotokoll in Verbindung mit dem Fehlen eines Vermerks über einen lokalen Ausdruck schlussfolgern, dass der Bescheid elektronisch einer Druckerei übermittelt wurde und der Bescheid dort ausgedruckt, kuvertiert und anschließend versandt worden ist (zentraler Druck). Dem Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass der zentrale Druck im Rahmen der Fachanwendung A2LL ein bundesweit übliches Verfahren ist. Allein aus dem Datumsvermerk im Druckprotokoll kann nicht festgestellt werden, wann der Bescheid zur Post gegeben wurde. Ersichtlich ist nur, wann der Bescheid gedruckt wurde.
Da der Beklagte den Zeitpunkt des Zugangs nicht nachgewiesen hat (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB X), ist zugunsten des Klägers davon ausz...