Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkungspflicht des Antragstellers zur Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit bei der beantragten Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Aufklärung des Sachverhalts. Glaubhaftmachung. Beweislast

 

Orientierungssatz

1. Zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Wege des Eilrechtsschutzes sind das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen.

2. Der erforderliche Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht, solange konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsteller über ausreichende Mittel verfügt, um sein menschenwürdiges Existenzminimum, insbesondere was den Regelbedarf betrifft, sicherzustellen.

3. Liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller mit Verwandten oder Verschwägerten in Haushaltsgemeinschaft lebt, so greift die Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB 2 hinsichtlich der fehlenden Hilfebedürftigkeit.

4. Der Antragsteller ist bei der Aufklärung der von ihm geltend gemachten Hilfebedürftigkeit zur Mitwirkung verpflichtet. Verweigert er diese, so ist die gerichtliche Entscheidung auf der Grundlage der Verteilung der materiellen Beweislast zu treffen. Diese geht zu Lasten des Antragstellers.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, 5; SGG § 86b Abs. 2; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 02.12.2013 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässigen Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 02.12.2013 sind unbegründet.

1. Das SG hat den sinngemäßen, am 06.11.2013 eingegangenen Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Arbeitslosengeld II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris Rn. 6).

Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht.

Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 (75)). Wenn es, wie hier, um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Dies bedeutet, dass das Fachgericht diejenigen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen (vgl. § 103 SGG) durchführen muss, die aus seiner Sicht zur Überzeugungsbildung und zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind, wobei eine Entscheidung aufgrund objektiver Indizien oder der Beweislastverteilung, vor allem bei nicht ausreichender Mitwirkung des Antragstellers bei der Aufklärung des Sachverhalts, nicht ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 05.05.2009 - 1 BvR 255/09 -, juris Rn. 4 - NZS 2010, 29-30; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 01.02.2010 - 1 BvR 20/10 - juris, Rn. 2). Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in diese...

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