Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenabwägung bei der Aussetzung der Vollstreckung durch einstweiligen Rechtsschutz im Recht der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Das Rechtsmittelgericht kann die Vollstreckung eines sozialgerichtlichen Beschlusses nach § 199 Abs. 2 SGG durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
2. Dabei sind die Interessen des Gläubigers an der Vollziehung des Titels mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor Beendigung des Instanzenzugs leisten zu müssen, abzuwägen. Eine Aussetzung ist nur in Ausnahmefällen zuzulassen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSG Beschluss vom 08. Dezember 2009, B 8 SO 17/09 R).
3. Bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen ist das Individualinteresse regelmäßig höher als das öffentliche Interesse anzusetzen.
Tenor
Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 12.02.2016 wird insoweit einstweilen ausgesetzt, als der Antragssteller verpflichtet wird, dem Antragsgegner Regelbedarf nach § 20 SGB II für die Zeit ab dem 22.03.2016 und Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 23.212.2015 zu erbringen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller hat 1/4 der Kosten des Antragsgegners zu erstatten.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragssteller als Antragsgegner des Eilverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II, einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung, ab dem 23.12.2015 an den Antragsgegner zeitlich unbefristet zu zahlen. Der Umstand, dass es sich um eine Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach handelt, ohne dass die Höhe des Betrages genannt ist, steht der Vollstreckbarkeit des Beschlusses nicht entgegen (vgl. zur insoweit parallelen Rechtslage bei der Vollstreckung aus Grundurteilen nach § 130 SGG Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 201 Rn 2 m.w.N.). Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 S. 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist teilweise begründet. Im Rahmen des bei der Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG auszuübenden Ermessens (BSG Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER mit Zusammenfassung des Meinungstandes; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 199 Rn 8 m.w.N.; abweichend BSG Beschluss vom 06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B). Im Rahmen des bei der Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG auszuübenden Ermessens (BSG Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER mit Zusammenfassung des Meinungstandes; Leitherer, a.a.O., § 199 Rn. 8 m.w.N.; abweichend BSG Beschluss vom 06.08.1999 - B 4 RA 25/98 B) sind die Interessen des Gläubigers an der Vollziehung des Titel mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges leisten zu müssen, abzuwägen. Zu gewichten sind daher die Folgen einer Ablehnung der Vollstreckungsaussetzung bei nachfolgender Aufhebung des angefochtenen Beschlusses einerseits und die Folgen einer Stattgabe des Aussetzungsantrages bei nachfolgender Zurückweisung der Beschwerde andererseits (Leitherer, a.a.O., § 199 Rn. 8 m.w.N.). Bei der Abwägung ist der in § 154 Abs. 2 SGG bzw. § 175 S. 1 SGG zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, Berufungen bzw. Beschwerden in der Regel keine aufschiebende Wirkung zuzumessen. Diese gesetzliche Wertung legt nahe, eine Aussetzung nur in Ausnahmefällen zuzulassen, wenn das Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat (BSG Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R). Dies gilt umso mehr, als bei der Nichtgewährung existenzsichernder Leistungen regelmäßig das Individualinteresse höher als das öffentliche Interesse anzusetzen ist (BSG Beschluss vom 08.12.2009 - B 8 SO 17/09 R m.w.N.).
Bei der Abwägung der Interessen des Antragstellers, die Nachteile, die für ihn regelmäßig mit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel verbunden sind, abzuwenden mit den Interessen des Antragsgegners auf Erhalt von existenzsichernden Leistungen in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 23.12.2015 bis zum 21.03.2016 überwiegen die Interessen des Antragsgegners.
Nach derzeitiger Aktenlage hat der Antragsgegner das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II nachvollziehbar dargelegt und ist offen, ob dem Antragsgegner ein Aufenthaltsrecht i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 1, S. 2 FreizügG/EU für die Zeit bis zum 21.03.2016 zusteht. In die Erwägungen hat der Senat ...