Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Ausbildung und für deren die elterliche Sorge ausübenden Elternteil

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a SGB 2 erfasst denjenigen Ausländer nicht, der über ein materielles Aufenthaltsrecht, u. a. nach § 3 Abs. 4 FreizügG, verfügt.

2. Nach § 3 Abs. 4 FreizügG behalten die Kinder eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers und der die elterliche Sorge ausübende Elternteil auch nach dem Tod oder Wegzug des Unionsbürgers, von dem sie ihr Aufenthaltsrecht ableiten, bis zum Abschluss einer Ausbildung ihr Aufenthaltsrecht, wenn sich die Kinder im Bundesgebiet aufhalten und eine Ausbildungseinrichtung besuchen (BSG Urteil vom 3. 12. 2015, B 4 AS 43/15 R).

3. Art. 10 EUV 492/11 verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und damit ein autonomes Aufenthaltsrecht.

4. Soweit diese für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art. 10 EUV 492/11 der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können, besteht für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art. 10 EUV 492/11.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.06.2017 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.2017 - S 5 AS 571/17 wird angeordnet. Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin F aus B beigeordnet.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 21.04.2017.

Die am 00.00.1986 geborene Antragstellerin ist slowakische Staatsangehörige und lebt seit 09.09.2015 in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 21.04.2017 lebte sie in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann Q L (geb. 00.00.1979, Herr L ) und ihren Kindern B L (geb. 00.00.2009) und Q L (geb. 00.00.2011). B besucht die Grundschule.

Herr L, ein slowakischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2015 in die Bundesrepublik ein und war sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens wurde sein Arbeitsverhältnis zum 31.12.2016 durch den Arbeitgeber gekündigt. Herr L. bezog anschließend Alg I. Zum 21.04.2017 kehrte Herr L. in die Slowakei zurück. Die Eheleute haben sich getrennt. Herr L. hat nicht die Absicht, erneut in die Bundesrepublik einzureisen.

Mit Bescheid vom 17.03.2017 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin und den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis 31.10.2017. Dabei berücksichtigte er ein Einkommen von Herrn L. i.H.v. 897,00 EUR (Alg I) sowie 192,00 EUR Kindergeld für jedes Kind. Das Kind Q bezieht weiter Pflegegeld i.H.v. 728,00 EUR (Pflegegrad 4), welches der Antragsgegner nicht als Einkommen anrechnete.

Mit Schreiben vom 27.04.2017 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner die Ausreise ihres Ehemannes mit und bat um Neuberechnung der Leistungen. Mit Bescheid vom 19.05.2017, adressiert an die Antragstellerin, hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach §§ 40 Abs. 1 und 2 SGB II, 330 SGB III, 48 SGB X rückwirkend zum 21.04.2017 ganz auf. Aufgrund des Wegzuges des Ehemannes verfüge die Antragstellerin über kein Aufenthaltsrecht mehr. Damit greife der Leistungsauschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ein. Für den Zeitraum vom 21.04.2017 bis zum 31.05.2017 erhalte die Antragstellerin für die zu Unrecht ausgezahlten SGB II-Leistungen noch einen gesonderten Bescheid. Den Widerspruch der Antragstellerin hiergegen wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2017 zurück. Die Klage der Antragstellerin zum Sozialgericht Aachen wird unter dem Aktenzeichen S 5 AS 571/17 geführt. Der Antragsgegner stellte die Zahlungen zum 01.06.2017 ein.

Am 02.06.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Aachen beantragt, ihr und ihren beiden Kindern weiterhin SGB II-Leistungen gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Mit Schriftsatz vom 09.06.2017 hat die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19.05.2017 anzuordnen.

Mit Beschluss vom 14.06.2017 hat das Sozialgericht den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.05.2017 gegen den Bescheid vom 19.05.2017 sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs für den Aufhebungszeitraum vom 21.04.2017 bis zum 31.05.2017 sei unzulässig, da die Antragstellerin bislang für de...

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