Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung bei der Anordnung der einstweiligen Aussetzung der Vollstreckung bewilligter Grundsicherungsleistungen

 

Orientierungssatz

1. Die Anordnung der einstweiligen Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG ist eine Ermessensentscheidung. Sie erfordert eine Abwägung des Gläubigerinteresses an der Vollstreckung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor Beendigung des Instanzenzugs zu leisten. Für die vorläufige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es der Glaubhaftmachung schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die erhobene Beschwerde.

2. Ist die Gewährung von Leistungen des SGB 2 durch Eilrechtsschutz bewilligt, so überwiegt grundsätzlich deren existenzsichernde Funktion das Interesse des Grundsicherungsträgers, eine etwaige Rückforderung nicht realisieren zu können, würde die Vollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.

 

Tenor

Der Antrag des Antragstellers, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 09.08.2013 einstweilen auszusetzen, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner.

 

Gründe

Der Aussetzungsantrag ist zulässig.

Bei verständiger Würdigung des hilfsweise gestellten Antrags, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss auszusetzen, handelt es sich um einen Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Diese Entscheidung steht in einem zeitlichen, nicht inhaltlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Entscheidung über die Beschwerde als Hauptsacheentscheidung. Sie ist dieser Entscheidung vorgeschaltet, indem hier lediglich über die vorläufige Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens zu befinden ist.

Der so verstandene Aussetzungsantrag ist statthaft und zulässig. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 09.08.2013 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsgegnern ab dem 18.07.2013 bis zum 31.12.2013, längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (s § 175 Satz 1 und 2 SGG).

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschl v 26.01.2006 -L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl § 199 Rn 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aa0 mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aa0). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§ 154 Abs. 1 iVm § 86 a; § 154 Abs. 2 SGG (Berufung); § 175 Satz 1 und 2 SGG (Beschwerde); vgl hierzu auch BSG Beschl v 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R) und - bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde - keiner der in § 175 Satz 1 und 2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht. Hinzu kommt, dass der Antragsteller in einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, abzuwenden (s etwa BVerfG Beschl v 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer derart schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bayer LSG Beschl v 08.02.2006 - L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschl ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge