Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines Bildungsgutscheins
Orientierungssatz
1. Durch einen Bildungsgutschein kann lediglich die Weiterbildung i. S. von § 77 Abs. 1 SGB 3, nicht aber eine Ausbildung gefördert werden.
2. Maßgeblich ist die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme. Entscheidend ist, ob es sich um eine schulische oder berufliche Ausbildung oder um eine berufliche Weiterbildung handelt. Die berufliche Weiterbildung stellt auf eine angemessene Berufserfahrung ab und knüpft an berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten an. Dagegen baut eine Ausbildungsmaßnahme nicht auf bereits erworbene berufliche Kenntnisse auf, vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2008 - B 7/7a AL 68/06 R.
3. Sind für den Besuch einer Heilpraktikerschule berufliche Vorkenntnisse nicht erforderlich, sondern genügt ein Mindestalter von 25 Jahren und ein Hauptschulabschluss, so wird der Besuch einer solchen Schule durch eine umfassende Ausbildung und den Erwerb grundlegender Kenntnisse und Fähigkeiten für beruflich nicht Vorgeschulte geprägt. Damit liegt Ausbildung und keine Weiterbildung vor.
4. Bei einem Bildungsgutschein handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der die in § 79 SGB 3 gesetzlich vorgesehenen laufenden Leistungen zur Förderung der Weiterbildung dem Grunde nach bewilligt.
5. Solange die Maßnahme, für die der Bildungsgutschein vorgesehen ist, noch nicht begonnen hat und die Kosten der Weiterbildung noch nicht fällig sind, müssen die dem Grunde nach bewilligten Leistungen noch nicht erbracht werden. Die Beseitigung des Bildungsgutscheins vor Beginn der Maßnahme und vor Fälligkeit der entsprechenden Kosten greift damit nicht in einen laufenden Bewilligungszeitraum ein und geschieht damit mit Wirkung für die Zukunft.
6. Damit ist bei der Rücknahme des Bildungsgutscheins nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB 10 eine Abwägung des Vertrauens des Antragstellers in den Bestand des Bildungsgutscheins mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme vorzunehmen.
7. Vertrauen ist dann schutzwürdig, wenn der Begünstigte eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Kann sich der Begünstigte von eingegangenen Verpflichtungen ohne finanziell nachteilige Folgen selbst befreien, so vermögen enttäuschte Erwartungen allein das öffentliche Interesse, die von der Versichertengemeinschaft aufgebrachten finanziellen Mittel ausschließlich für rechtmäßige Maßnahmen zu verwenden, nicht zu überwiegen.
8. In einem solchen Fall ist die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gegen die Rücknahme des Bildungsgutscheins zu versagen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.11.2011 geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29.11.2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2011 anzuordnen, wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Das Sozialgericht (SG) hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29.11.2011 gegen den Bescheid vom 26.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2011, mit dem die Antragsgegnerin den der Antragstellerin erteilten Bildungsgutschein aufgehoben hat, angeordnet. Der entsprechende Antrag der Antragstellerin vom 11.11.2011 ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die genannten Bescheide ist gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
a) Die Klage vom 29.11.2011 richtet sich gegen einen Verwaltungsakt. Der Bescheid vom 26.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids (vgl. § 95 SGG) ist sowohl seiner Form als auch seinem Inhalt nach ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Als Aufhebungsbescheid teilt er die Rechtsnatur des aufgehobenen Bescheids. Wie das SG zutreffend dargelegt hat, handelt es sich bei einem Bildungsgutschein um einen Verwaltungsakt (vgl. Stratmann, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 77 Rn. 33 m.w.N.).
Der Art nach handelt es sich um eine Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG mit dem Ziel, durch Aufhebung des Bescheids vom 26.10.2011 das Wiederaufleben des Bildungsgutscheins (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X) zu erreichen.
b) Die Anfechtungsklage hat abweichend von der Grundregel des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Dies folgt aus § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG, auf den § 336a Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) ausdrücklich verweist. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung u.a. in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen.
aa) Der Begriff des Entziehens ist weit zu verstehen und beschränkt sich nicht auf Verwaltungsakte nach § 66 SGB I, sondern umfasst auch die Aufhebun...