Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Honorarrückforderungsbescheid

 

Orientierungssatz

1. Bei der Entscheidung des Gerichts über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Rückforderungsbescheid der Kassenärztlichen Vereinigung wegen zu Unrecht abgerechneter ärztlicher Leistungen ist auf die wirtschaftlichen Folgen der in geschützte Rechtsgüter eingreifenden Regelung abzustellen.

2. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Hierbei hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen zu erfolgen. Dabei ist zunächst zu klären, ob und inwieweit der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist.

3. Allein eine unterlassene Anhörung führt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht dazu, dass ein Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Die Anhörung kann nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB 10 bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

4. Erweist sich im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der angefochtene Bescheid nicht als offensichtlich rechtswidrig, so ist in der Regel die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen ergangenen Honorarrückforderungsbescheid zu versagen aufgrund des öffentlichen Interesses an der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin in dem vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf anhängigen Rechtsstreit S 2 KA 403/12.

Die Antragstellerin ist seit 01.10.1993 in L als Vertragszahnärztin tätig. Über ihr Vermögen wurde am 01.09.2009 das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet (Amtsgericht xxx). Der Insolvenzverwalter hat den Betrieb der Zahnarztpraxis mit Wirkung zum 01.08.2010 gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) aus der Insolvenzmasse freigegeben.

Mit vorläufigem Rückforderungsbescheid vom 19.08.2011 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin die gesamten von ihr im Zeitraum 01.01.2003 bis 31.12.2006 erbrachten Zahnersatz-Leistungen in Höhe von 319.239,80 EUR zurück. Die ihr für diese Zeit erteilten Honorarbescheide wurden insofern aufgehoben und durch diesen Rückforderungsbescheid ersetzt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.07.2012). Die Antragsgegnerin führte hierzu aus: Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren bzw. dem Steuerstrafverfahren habe die Antragstellerin zumindest in den Jahren 2003 bis 2010 Fremdlaborleistungen als Eigenlaborleistungen deklariert und zur Abrechnung gebracht. Sie habe angegeben, dass die Laborleistungen, soweit nicht im Eigenlabor angefallen, überwiegend in einem polnischen Zahnlabor erbracht worden seien. Die insofern erforderlichen Angaben bzw. Unterlagen (Originalrechnungen, Umrechnungen in Euro, Zolleinfuhrbestätigungen, Konformitätserklärungen, Dokumentationen) fehlten bzw. seien mangelhaft. Diese Unterlagen seien Voraussetzung für die Abrechnungsfähigkeit von Zahnersatzleistungen sowohl hinsichtlich der Material- und Laborkosten als auch der darauf entfallenden Honorare. Die in den Jahren 2003 bis 2010 erbrachten Zahnersatzleistungen seien daher insgesamt nicht abrechnungsfähig gewesen.

Die Abrechnungen für die Jahre 2003 - 2010 stellten sich wie folgt dar:

Zeitraum 2003:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 86.807,05

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 72.084,91

Zeitraum 2004:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 71.038,71

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 68.537,34

Zeitraum 2005:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 90.920,27

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 73.019,17

Zeitraum 2006:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 70.473,77

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 55.959,82

Zeitraum 2007:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 101.313,29

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 63.763,28

Zeitraum 2008:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 136.939,05

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 94.312,04

Zeitraum 2009:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 101.442,42

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 65.241,22

Zeitraum 2010:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 140.012,94

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 97.951,08

Summe:

Abgerechnete Zahnersatz-Leistungen inklusive Honorar = 798.947,50

Davon abgerechnete Material- und Laborkosten in Euro = 590.868,86

Alle Abrechnungen habe die Antragstellerin mit einer Abrechnungs-Sammelerklärung unterschrieben, mittels der sie bestätigt habe...

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