Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgenabwägung bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen Ausländer durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Ob der Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Ausländer, die sich ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 rechtmäßig ist, ist seit Jahren umstritten und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klären.
2. In die Entscheidung sind die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers einzustellen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 06. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12.
3. Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers am einstweiligen Bezug existenzsichernder Regelleistungen das fiskalische Interesse des Grundsicherungsträgers, nicht dem Risiko der Geltendmachung einer möglicherweise nicht erfolgversprechenden Rückforderung ausgesetzt zu sein.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 06.01.2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin N, F, beigeordnet.
Gründe
I.
Die am 00.00.1976 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie lebt seit 2009 in der Bundesrepublik und war nach ihren Angaben in mehreren Berufen selbständig tätig, zuletzt mit einem von April bis Juni 2013 angemeldeten Gewerbe "Betrieb eines Internet-Cafes". Nach eigenen Angaben hat sie in Bulgarien fünf Jahre die Schule besucht und keine Ausbildung absolviert. Sie versteht ein wenig, spricht jedoch kein Deutsch.
Den am 19.09.2013 gestellten Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21.11.2013 mit der Begründung ab, das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin bestehe allein zum Zwecke der Arbeitsuche, sodass sie nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Über den am 18.12.2013 gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden.
Mit Antrag vom 23.12.2013 hat die Antragstellerin die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ohne Kosten der Unterkunft) begehrt. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verstoße gegen das Recht der Europäischen Union und greife nach dem Urteil des Senats vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 schon deshalb nicht, weil die Antragstellerin nach längerer vergeblicher Suche aktuell keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes und daher auch kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr habe.
Mit Beschluss vom 06.01.2014 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 23.12.2013 vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, längstens bis zum 22.06.2014, Leistungen in Form des Regelbedarfs zu bewilligen. Dies hat die Antragsgegnerin mit vorläufigem Bescheid vom 20.01.2014 ausgeführt.
Am 22.01.2014 hat die Antragsgegnerin Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Die Antragstellerin unterfalle dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, ohne dass es darauf ankomme, ob die materiellen Voraussetzungen für das Freizügigkeitsrecht noch vorlägen. Der gegenteiligen Auffassung des Senats werde nicht gefolgt. Diese führe zu einem mit dem Sinn des Leistungsausschlusses nicht zu vereinbarenden Ergebnis. Verstöße gegen Bestimmungen des Unionrechts im Sinne der Antragsbegründung lägen nicht vor.
Zu Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht der Antragstellerin im Wege der Folgenabwägung Regelleistungen nach § 20 SGB II vorläufig zuerkannt.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem glaubhaft gemachten Fehlen von Eigenmitteln.
Ob auch ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht ist, muss offen bleiben. Zwar erfüllt die Antragstellerin die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 - 4 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Umstritten und fraglich ist jedoch, ob bei ihr der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eingreift, weil sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Eine abschließende Klärung der seit Jahren und in mehrerlei Hinsicht umstrittenen Frage, ob der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich ausschließlich zur Arbeitsuche im Inland aufhalten, rechtmäßig und anzuwenden ist, ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geboten.
Angesichts vielfältiger Rechtsprechung mit...