Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Aufhebungsbescheid zu Leistungen des SGB 2 über einen vergangenen Zeitraum
Orientierungssatz
1. Der Gesetzgeber hat in § 39 SGB 2 eine eigenständige Regelung hinsichtlich des Fortfalls des Suspensiveffekts von Widerspruch und Klage getroffen. Die Bestimmung erfasst alle leistungsrechtlichen Eingriffsakte des SGB 2-Leistungsträgers. Dazu gehören diejenigen Bescheide, die über die Aufhebung der Leistung für die Vergangenheit und die Erstattung der Leistung ergehen.
2. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGB 2 und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Das Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist bei dieser Auslegung nicht verletzt, weil bereits ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes die Aussetzung der Vollziehung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs rechtfertigen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.12.2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 08.02.2007 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) u.a. für die Zeit vom 01.03. bis 30.06.2007 in Höhe von 662,57 EUR monatlich. Nachdem die Beklagte erfahren hatte, dass der Kläger ab April 2007 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalten hatte, hob sie mit Bescheid vom 08.06.2007 die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II für den Monat April in Höhe von 223,26 EUR und für den Monat Mai 2007 in Höhe von 251,40 EUR teilweise auf und verlangte die Erstattung von 474,66 EUR.
Der Antragsteller legte am 15.06.2007 Widerspruch ein und hat am 22.10.2007 beim Sozialgericht (SG) Köln beantragt, die Einziehung der festgesetzten Rückforderung bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch auszusetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2007 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit Beschluss vom 04.12.2007 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil Widerspruch und Klage gegen den angefochtenen Bescheid keine aufschiebende Wirkung entfalteten. Diese sei auch nicht anzuordnen, weil mehr für die Rechtmäßigkeit des Bescheides als gegen sie spreche.
Mit seiner Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 11.12.2007), macht der Antragsteller geltend, dass er auf die Bewilligung der Leistungen vertraut habe.
Die Beschwerde ist zulässig, auch wenn durch die zum 01.04.2008 in Kraft getretene Bestimmung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I 444) die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen worden ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Letzteres ist hier der Fall, weil der streitige Betrag weder nach der bis zum 01.04.2008 gültigen Rechtslage noch danach die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Beschwer erreicht (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Zwar erfassen Änderungen des Prozessrechts im allgemeinen auch schwebende Verfahren, das gilt aber nicht, soweit es sich um unter der Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen handelt (BGHZ 114, 1, 3f m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall, weil die Beschwerde schon zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung eingelegt gewesen ist.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die grundsätzlich Widerspruch und Klage zukommende aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 S. 1 SGG) entfällt hier aufgrund der Bestimmung des § 39 Nr. 1 SGB II (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG).
Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass diese Bestimmung sämtliche leistungsrechtlichen Eingriffsakte der Leistungsträger des SGB II erfasst und damit auch solche, die über die Rücknahme oder Aufhebung der Leistungen für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4, 48 Abs. 1 S. 2 SGB X) und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen (§ 50 SGB X) ergehen (vgl. grundlegend Beschl. d. Senat v. 31.03.2006 - L 19 B 15/06 AS ER -; ebenso LSG NW Beschl. v. 26.07.2006 - L 20 B 144/06 AS ER - u.v. 19.07.2006 - L 12 B 55/06 AS ER -; Bayerisches LSG, Beschl. v. 24.08.2007 - L 11 B 960/07 AS ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2006 - L 8 AS 4680/06 ER - B -; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II, § 39 Rn 2; Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl., § 39 Rn 12; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 39 Rn 44; Schmeller in Mergler/Zink, SGB II, § 39 Rn 6; Seegmüller in Estelmann, SGB II,...